Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
bist leichtgläubig, meine Gute. Ich erinnere dich nur daran, daß er bei der Geburt unsers Mädchens zu meiner Befremdung wie ein gereifter Mann über die Sache sprach. Es war mir das gleich enorm verdächtig. Immerhin gebe ich zu, daß Frau Behold in dem Brief zu weit gegangen sein mag und daß ich mich infolgedessen zu einer Übereilung habe hinreißen lassen. Aber ich muß dahinterkommen, wie weit seine Wissenschaft in dem Punkte geht, denn an sein Kindergemüt, das weißt du, glaub’ ich nun einmal nicht.«
»Du mußt ihn wieder versöhnen, Quandt, es war zu arg, das da,« sagte die Lehrerin.
Quandt machte eine bedenkliche Miene. »Versöhnen? Ja, gut; ich will’s gern tun. Aber er ist dann immer so lieb und anschmiegsam, daß man ihm schwer widerstehen kann, und dadurch wird das objektive Urteil getrübt. Ich werde morgen einmal mit dem Pfarrer Fuhrmann über das Thema sprechen.«
Gesagt, getan. Doch leider zeigte Quandt bei diesem Anlaß die Umständlichkeit einer alten Jungfer und umschrieb das, was er sagen wollte, mit blühenden Redefiguren, als ob zwischen Mann und Weib nur Beziehungen ätherischer Art wären, die zuweilen unglücklicherweise inden Staub gezogen und befleckt würden durch beleidigende, aber nicht auszurottende Zwischenfälle.
Der geistliche Herr mußte lächeln. Nach einigem verwunderten Nachdenken antwortete er, er habe an Hausers Charakter nach dieser Richtung etwas Anstößiges nicht im geringsten beobachtet, Caspar scheine ihm in allem, was das Verhältnis der Geschlechter betreffe, noch ein vollständiges Kind. Zum Beweis dessen erzählte er dem Lehrer, daß Caspar vor ungefähr einem Monat beim Lesen einer Bibelstelle, die ihm aufgefallen war und die er ihm so gut es ging erklärt, mit schönem Zaudern von einer gewissen wiederkehrenden Beunruhigung gesprochen habe, einem Zustande, der ihn sicherlich schon oft bedrängt und für dessen Deutung er nirgends eine vertrauende Ansprache gefunden. Der alte Mann versicherte, daß ihm die Art und Weise, wie Caspar dies vorgebracht, unvergeßlich sein werde, es habe wie ein ahnungsloser Vorwurf gegen die Natur geklungen, die etwas mit ihm anstellte, wogegen er sich nicht wehren könne.
Quandt ließ sich kein Wort entgehen. Er sah das mit ganz andern Augen an. Er erblickte darin die Merkmale einer verderbten Phantasie. Doch äußerte er von seiner Ansicht gegen den Pfarrherrn nichts, sondern begab sich in stillem Vorbedacht nach Hause, legte sich emsig auf die Lauer und paßte die Gelegenheit ab.
Am Tag darauf sollte Caspar bei Imhoffs essen, er kam aber wieder zurück, denn die Baronin war krank und lag zu Bett. Beim Abendtisch kam das Gespräch darauf, und da Quandt sein Bedauern ausdrückte, sagte Caspar: »Ach, die wird vielleicht nie mehr ganz gesund.«
»Was reden Sie da, Hauser,« fiel die Lehrerin ein, »so eine junge Frau, so reich und so schön.«
»Ach,« entgegnete Caspar wehmütig, »Reichtum und Schönheit tun’s nicht. Die hat sich schon zu sehr hinuntergegrämt.«
»Ja, hat sie denn ihren Kummer am Ende Ihnen anvertraut?« forschte Quandt ungläubig.
Caspar beantwortete die Frage nicht und fuhr wie zu sich selbst redend fort: »Nichts fehlt ihr auf der Welt, nur der Mann ist nicht wie er sein sollte, hat andre lieber. Warum? Er ist doch sonst so gescheit! Aber wenn sich die Frau auch zu Tod betrübt, deshalb wird es nicht besser. Und die Leute hinterbringen ihr alles; ich hab’ ihr gesagt, das sind keine Freunde, die Ihnen solches Zeug erzählen, wahre Freunde sind das nicht.«
»Hm,« machte Quandt und schaute eigentümlich lächelnd auf seinen Teller. Er besiegte sein Schamgefühl und fragte mit gezwungener Leichtigkeit, ob denn Herr von Imhoff in neuerer Zeit seiner Frau wieder Anlaß zur Sorge gegeben habe, seines Wissens habe doch erst im März eine Versöhnung stattgefunden.
»Ja, freilich hat er Anlaß gegeben,« versetzte Caspar unbefangen, »es ist ja wieder ein Kind von ihm da.«
Quandt erschrak. Da haben wir’s, dachte er. Und so hart es ihn auch ankam, er beschloß, Caspar gleich auf den Zahn zu fühlen. Er wechselte mit seiner Frau einen Blick des Einverständnisses und bat sie, sie solle nach den Kindern schauen. Als nun die Frau das Zimmer verlassen hatte, wandte sich der Lehrer, blaß und aufgeregt durch die Schwierigkeit seines Vorhabens,an Caspar und fragte ihn unvermittelt, ob er schon einmal mit einem Frauenzimmer etwas gehabt habe, es lägen verschiedene Mutmaßungen vor, und Caspar möge
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