Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
antwortete nichts. Wie widerwärtig war es ihm, all den kleinen Hader austragen zu sollen, den sie ihm da herbeischleppten. Ihn dürstete nach Frieden. Das eine Werk noch, vollendet mußte es werden, dann – Friede.
Kaum war Feuerbach gegangen, so eilte Quandt in Caspars Zimmer, rückte die Schreibkommode von der Wand und sah nach, ob dort ein Nagel stecke. In der Tat war ein Nagel ins Holz geschlagen. Quandt rief die Magd herauf. »Hat der Hauser in letzter Zeit den Hammer gehabt und haben Sie ihn klopfen gehört?« fragte er. Die Magd bejahte; er habe vorige Woche Hammer und Nägel aus der Küche geholt, und sie habe ihn klopfen gehört.
Plötzlich hatte Quandt eine Erleuchtung. Wir sind ja im Sommer, dachte er, und wenn er das Heft wirklich verbrannt hat, muß die Asche noch im Ofen zu finden sein. Er ging zum Ofen, kniete nieder, öffnete das Türchen und scheuerte mit gierigen Händen alles, was von verbrannten und verkohlten Resten in dem Loch war, heraus auf den Boden.
Es kam viel Papierasche zum Vorschein. Quandt gab acht, daß die größeren Stücke nicht zerbrachen, da man auf Asche eine Schrift noch lesen kann. Sorgsam schob er die Trümmer auseinander. Er fürchtete das eine oder das andre mit dem Finger anzugreifen und blies es mit dem Atem seines Mundes zur Seite; wenn es beschrieben war, versuchte er die Worte zu lesen, fand aber keinen Zusammenhang.
Da näherten sich Schritte und Caspar trat ein, nicht wenig erstaunt über die Lage, in der er den Lehrer sah, dessen Hände und Gesicht vonRuß geschwärzt waren, indes ihm der Schweiß von den Haaren troff.
Quandt ließ sich nicht stören. »So viel Asche kann doch unmöglich von dem einen Tagebuch herrühren,« sagte er.
»Ich hab’ auch alte Briefe und Schriften damit verbrannt,« erwiderte Caspar.
Die kühlsachliche Antwort trieb Quandt die Zornröte ins Gesicht; er stand hastig auf, murmelte etwas durch die Zähne und verließ das Zimmer, die Tür hinter sich zudonnernd. »Sie kommen mir heut abend nicht mit auf die ›Ressource‹,« schrie er auf der Stiege.
In der »Ressource« war ein Gartenfest, das der Schützenverein veranstaltete. Quandt hatte eigentlich keine Lust, hinzugehen, dergleichen kostete immer Geld. Aber die Frau wollte auch einmal ein Amüsement haben, war des verdrießlichen Zuhausehockens satt. Sie hatte sich schon vor acht Tagen ein Kattunkleid für diesen Zweck gemacht, und so mußte denn der Lehrer sich fügen und, wie er sich ausdrückte, der Unvernunft seinen Zoll entrichten, zumal das Wetter gegen Abend schön geworden war.
Caspar blieb, bis die Dunkelheit anbrach, am offenen Fenster sitzen und genoß der Stille. Dann machte er Licht, und ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er zur Wand ging, den Stahlstich über dem Kanapee herunternahm, die hinter dem Bild befestigte Holztafel loslöste und nun das so verborgene Tagebuch hervorzog. Er setzte sich damit zum Tisch, blätterte nachdenklich in dem Heft herum und überlas einige Stellen.
Hier war ein Lebensalter, eine Menschwerdung zusammengepreßt in den Verlauf von nicht mehrals vier Jahren, mit unheimlicher Geschwindigkeit Epoche an Epoche drängend. Was es an mangelhaft Ausgesprochenem, Geschildertem enthielt, die unschuldigen Ergüsse erster Freuden und Schmerzen, das erste bange Welterkennen, knabenhafte Philosophie und trotziges Hadern mit ahnungsvoll als feindlich empfundenen Mächten irdischer und überirdischer Natur, alles das hätte die auf diese Beute versessenen Jäger bitter enttäuscht. Aber es war nicht für jene, es war für die Mutter, ihr war es zugelobt ein für allemal, und mit der ihm eignen Wunderlichkeit war Caspar der Gedanke ganz unfaßlich, daß ein andres Auge je auf diesen Blättern ruhen sollte. Es mag auch sein, daß ihm das Heft nach und nach in der Einbildung zu seinem einzigen wirklichen Besitz geworden war; das einzige Ding, das ihm völlig zugehörte und sein ganzes Vertrauen besaß.
Auf einer der ersten Seiten stand: »Neulich hab’ ich aus Gartenkresse meinen Namen gesäet, ist recht schön gewachsen und hat mir große Freude gemacht. Ist einer in den Garten hereingekommen, hat Birnen gestohlen, der hat mir meinen Namen zertreten, da hab’ ich geweint. Herr Daumer hat gesagt, ich soll ihn wieder machen, hab’ ich ihn wieder gemacht, am andern Morgen haben ihn Katzen zertreten.«
Es folgten in demselben unbeholfenen Stil einige Versuche, seine Kerkerhaft zu beschreiben, etwa so: »Die Geschichte von Caspar Hauser; ich
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