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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Die Baronin hatte sich gleichfalls noch nicht zur Ruhe begeben. Clara teilte ihr mit, daß Caspar bis jetzt bei ihr gewesen sei. Frau von Imhoff nickte, sah aber die Freundin etwas verlegen und verwundert an. »Ich werde morgen früh meinen Koffer packen und reisen,« sagte Clara leise und mit einem Ausdruck unwiderruflicher Bestimmtheit, der ihr bisweilen eigen war und ihre kindlichen Züge seltsam hart und leidend machte. Frau von Imhoff erhob sich überrascht und trat nahe an die Freundin heran. Plötzlich fielen sie einander in die Arme, und Clara schluchzte.
    Sie verstanden sich; es war nicht nötig zu sprechen.
    Als sich Clara losriß, sagte sie, sie werde Caspar noch in die Stadt begleiten. »Das kannst du unmöglich tun,« wandte Frau von Imhoff ein, »oder ich werde dir wenigstens den Diener mitgeben.«
    »Bitte, nicht,« antwortete Clara lächelnd, »du weißt doch, daß ich keine Furcht habe. Es beirrt mich auch, wenn man meinethalben ängstlich ist. Die Nacht tut mir gut, und ich freue mich auf den einsamen Rückweg.«
    Eine Viertelstunde später wanderte sie mit Caspar über die noch feuchte Straße gegen die Stadt. Sie redeten auch jetzt nichts, und vor dem Lehrerhaus reichten sie einander die Hände. »Jetzt gehst du wahrscheinlich fort von mir, Clara,« sagte da plötzlich Caspar und schaute sie mit einem verschleierten Blick an.
    Sie war ebenso erstaunt wie bewegt über diese Worte, die ein tiefes Vorgefühl verrieten. Wie schön sind seine Augen, dachte sie, sie sind hellbraun wie die eines Rehs; gleicht er doch auch sonst einem Reh, das traurig-verwundert im dunkeln Wald steht.
    »Ja, ich gehe,« erwiderte sie endlich.
    »Und warum denn? Bei dir war mir wohl.«
    »Ich komme wieder,« versicherte sie mit einer gezwungenen Herzlichkeit, hinter der ein Aufschrei erstarb. »Ich komme wieder. Wir werden uns schreiben. Zu Weihnachten komm’ ich wieder.«
    »Ich komme wieder; das hab’ ich schon einmal gehört,« sagte Caspar bitter. »Bis Weihnachten ist lang. Und schreiben tu’ ich nicht. Was hat man vom Schreiben, ist ja doch nur Papier. Geh nur, leb wohl.«
    »Es kann nicht anders sein,« flüsterte Clara, und ihr Blick suchte die Sterne. »Sieh, Caspar, dort oben ist das Ewige. Wir wollen es nicht vergessen wie alle andern. Wir wollen nichts vergessen. Ach, vergessen, vergessen, darin liegt alle Bosheit der Welt. Uns gehören die Sterne,Caspar, und wenn du hinaufschaust, bin ich bei dir.«
    Caspar schüttelte den Kopf. »Leb wohl,« sagte er matt.
    Im Erdgeschoß wurde ein Fenster geöffnet, und das mit einer Bettmütze gekrönte Haupt des Lehrers wurde sichtbar, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Es war eine schweigende Mahnung.
    Ich will Bettine bitten, daß sie ihn täglich besucht, überlegte Clara, während sie allein durch die öden Gassen ging; ich bring’ ihm Unheil, wenn ich bleibe, ein Abgrund gähnt mir entgegen, wie er fürchterlicher nicht zu denken ist. Schwester! Wie war mir doch, als er mich Schwester nannte! Die himmlische Seligkeit pochte mir an die Brust. So hätt’ ich einen verlorenen Bruder gefunden, und mehr noch; aber, gerechter Gott, mehr darf es nicht sein. Ihn anzutasten! Seinen Schlummer stören! O verbrecherische Lippen, denen ein Kuß nichts bedeutet! Hätt’ ich’s getan, ich müßte seine Mörderin heißen, was kann ich Besseres tun als fliehen? Ein guter Genius wird ihn schützen; vermessen, wollt’ ich durch meine armselige Gegenwart ihn behütet glauben; ein so edles Ding kann nicht zugrunde gehen, weil sich zwei Augen von ihm wenden.
    Diese wirre und aufgeregte Gedankenfolge entschleiert ein rettungslos verstricktes Gemüt, das in seiner Schwärmerei den Entschluß eines Opfers faßt, verzagt, geblendet durch den Anblick von so viel Schicksal und in seiner Betrübnis irregehend an den Kreuzwegen der Liebe.
    Den Blick beständig zum Himmel gerichtet, und zwar auf das schöne Sternbild des Wagens,das wie ein erstarrter Zackenblitz im Dunkelblauen schwamm, bemerkte Clara nicht, daß am Portal des Schlosses eine Gestalt lehnte. Sie prallte erst zurück, als ihr die nächtige Person den Weg verstellte. O Gott, der Grauenvolle, dachte sie.
    Hickel, denn dieser war es, verneigte sich gegen die bestürzte Frau. »Vergebung, Madame, Vergebung,« murmelte er. »Und nicht nur für diesen Überfall, auch für das andre. Sie sind zu schön, Madame. Wenn Sie die Gnade hätten, zu erwägen, daß Ihre sublime Schönheit mit meinem Kopf umspringt wie ein mutwilliger

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