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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Hofgarten erstochen worden.«
    Und weiter. Ein Gärtnergehilfe, der in der Orangerie beschäftigt ist, hört gegen vier UhrStimmen. Er blickt zum Fenster hinaus und sieht einen Mann im Mantel vorüberlaufen. Der Mann läuft einen guten Trab. Die Stimmen sind etwa einen Büchsenschuß weit vom Orangeriehaus entfernt gewesen, nicht so weit, wie das Uzsche Denkmal ist. Es waren zweierlei Stimmen, eine Baß- und eine helle Stimme.
    Neben der Weidenmühle wohnt eine Näherin. Ihr Fenster geht auf den Hofgarten; sie sieht bis in die zwei gegen den hölzernen Tempel zu führenden Alleen. Bei beginnender Dämmerung gewahrt sie den Mann im Mantel; er tritt aus dem neuen Gittertor und steigt am Abhang der Rezatwiese hinab. Er stutzt, als er vor dem hochgeschwollenen Wasser steht. Er kehrt um und wendet sich gegen die Stäffelchen an der Mühle, geht über den Steg auf der Eiberstraße und verschwindet. Die Frau hat von seinem Gesicht nur einen schräglaufenden schwarzen Bart wahrnehmen können.
    Es meldet sich auch der Schreiber Dillmann zu einer Aussage. Die unverbrüchliche Gewohnheit des alten Kanzlisten ist es, jeden Nachmittag, wie das Wetter auch beschaffen ist, zwei Stunden lang im Hofgarten zu promenieren. Er hat Caspar und den Fremden gesehen. Er versichert aber, nicht vorangegangen sei Caspar dem Fremden, sondern hintennach sei er gegangen. »Er ist ihm gefolgt, wie das Lamm dem Metzger zur Schlachtbank folgt,« sagt er.
    Zu spät. Zu spät der Eifer. Zu spät die erlassenen Steckbriefe und Streifzüge der Gendarmerie. Es konnte nicht mehr fruchten, daß man sogar den Rezatstrom aus seinem Bett leitete, um vielleicht das Mordinstrument zu entdecken,das der Unbekannte bei seiner Flucht von sich geworfen haben mochte. Was lag an diesem Dolch?
    Was lag an den Zeugen? Was lag an den Verhören? Was lag an den Indizien, womit eine saumselige Justiz ihre Unfähigkeit prahlerisch verbrämte? Es wurde gesagt, daß die Nachforschungen planlos und kopflos betrieben wurden. Es wurde gesagt, eine geheimnisvolle Hand sei im Spiel, deren Machenschaften darin gipfelten, die wahren Spuren allmählich und mit Absicht zu verwischen und die Aufmerksamkeit der Behörde irrezuleiten.
Wer
es sagte, konnte natürlich nicht erkundet werden, denn die öffentliche Meinung, ein Ding, ebenso feig wie ungreifbar, orakelt nur aus sicheren Hinterhalten. Und sie schwieg gar bald stille hier, wo Verleumdung, Bosheit, Lüge, Dummheit und Heuchelei ein schönes Menschenbild wie zwischen Mühlrädern zermalmten, bis daß nichts mehr übrigblieb als ein ärmliches Märchen, wovon sich das Volk dieser Gegenden an rauhen Winterabenden vor dem Ofen unterhält.
    Am Sonntag nachmittag traf Quandt den jungen Feuerbach, den Philosophen, auf der Straße.
    »Wie geht’s dem Hauser?« fragte der den Lehrer.
    »Ei, er ist ganz außer Gefahr; dank’ der Nachfrage, Herr Doktor,« antwortete Quandt geschwätzig; »die Gelbsucht ist eingetreten, aber das soll ja die gewöhnliche Folge einer heftigen Erregung sein. Ich bin überzeugt, daß er in ein paar Tagen das Bett wird verlassen können.«
    Sie sprachen noch eine Weile von andern Dingen, hauptsächlich von der neuerdings zwischen Nürnberg und Fürth geplanten Dampfschienenbahn, ein Unternehmen, gegen das Quandt eine ganze Kanonade von Skepsis auffahren ließ, dann verabschiedete er sich von dem stillen jungen Mann mit der Dankbarkeit eines beklatschten Redners und eilte, beständig vor sich hinlächelnd, nach Hause. Er war in einer höchst zuversichtlichen Stimmung, einer Stimmung, in der man bereit ist, seinen ärgsten Feinden Nachsicht angedeihen zu lassen. Warum, das mochten die Götter wissen. War der schöne Tag daran schuld? Man darf nicht vergessen, daß in Quandt auch eine Art von Poet steckte; oder war es die Nähe des Weihnachtsfestes, das jedem guten Christenmenschen gleichsam eine Erneuerung seiner Seele verspricht? Oder war es am Ende der Umstand, daß gegenwärtig so viele vornehme und ausgezeichnete Personen sein bescheidenes Heim aufsuchten und daß er inmitten dieses bescheidenen Heims eine Stellung von ungeahnter Wichtigkeit innehatte? Genug, wie dem auch sein mochte, er war mit sich zufrieden, folglich stammte sein Lächeln aus der lautersten Quelle.
    Vor seiner Wohnung traf er auf den Polizeileutnant. »Ah, vom Urlaub zurück?« begrüßte er ihn mit gedankenloser Freundlichkeit. Gleich darauf sagte er sich: mit dem habe ich ja noch ein Hühnchen zu rupfen.
    Hickel drückte die Augen zusammen

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