Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
taktbemessene Traben ihrer Hufe, und wenn er in glücklicher Stimmung an etwas Edles und Vollkommenes dachte, sah er zuerst das Bild eines stolzen Rosses.
Beim Reitunterricht hatte er von Anfang an eine Gewandtheit gezeigt, die das größte Erstaunen des Stallmeisters erregt hatte. »Wie der Bursche sitzt, wie er den Zügel hält, wie er das Tier versteht, das muß man sich anschauen,« sagte Herr von Rumpler; »ich will hundert Jahre in der Hölle braten, wenn das mit rechten Dingen zugeht.« Und alle, die etwas von der Sache verstanden, redeten ähnlich.
Ei, wie selig war Caspar beim Trab und Galopp! Dies Ziehen und Fliehen, dies leichte Getragensein, hinaus und vorwärts, dies sanfte Auf und Ab, das Lebendigsein auf Lebendigem!
Wenn nur nicht die Leute so lästig gewesen wären. Beim ersten Ausritt mit dem Stallmeister wurden sie von einem ganzen Pöbelhaufen verfolgt und selbst gesetzte Bürger blieben stehen und lachten erbittert vor sich hin. »Der versteht’s,« höhnten sie, »der hat sich ein Bett gemacht, so muß man’s anfangen, damit einem warm wird.«
Auch heute war solch ein unbequemes Aufsehen. Der Himmel hatte sich geklärt und die Sonne schien, als sie durch die Engelhardtsgasse ritten. Eine Rotte von Knaben zog hinter ihnendrein und rechts und links wurden die Fenster aufgerissen. Der Stallmeister gab seinem Tier die Sporen und trieb Caspars Pferd mit der Peitsche an. »Man kommt sich ja, parbleu, wie ein Zirkusreiter vor,« rief er zornig.
Sie sprengten bis zum Jakobstor. »He! Holla!« rief da eine Stimme, und aus einer Seitengasse kam, ebenfalls zu Pferde, Herr von Wessenig auf sie zu. Rumpler begrüßte den Offizier und der Rittmeister gesellte sich an Caspars Seite.
»Prächtig, lieber Hauser, prächtig!« rief er mit übertriebener Verwunderung, »wir reiten ja wie ein Indianerhäuptling. Und das alles hat man erst bei den braven Nürnbergern gelernt? Nicht zu glauben.«
Caspar hörte nicht den verfänglichen Unterton der Rede; er blickte den Rittmeister dankbar und geschmeichelt an.
»Aber denk dir, Hauser, was ich heute bekommen habe,« fuhr der Rittmeister fort, den es juckte, mit Caspar einen Spaß zu haben. »Ich hab’ etwas bekommen, was dich höchlichst angeht.«
Caspar machte ein fragendes Gesicht. Vielleicht war es der edel-ruhige Ausdruck seiner Züge, der den Rittmeister zögern ließ. »Ja, ich hab’ etwas bekommen,« wiederholte er dann eigensinnig, »ein Brieflein hab’ ich bekommen.« Er hatte den einfältigen Ton, den die Erwachsenen annehmen, wenn sie mit Kindern scherzen, und der lauernde Blick in seinen Augen besagte etwa: wollen mal sehen, ob er Angst kriegt.
»Ein Brieflein?« entgegnete Caspar, »was steht denn drinnen?«
»Ja,« rief der Rittmeister und lachte knallend,»das möchtest du wohl wissen? Wichtige Sachen stehen drin, wichtige Sachen!«
»Von wem ist es denn?« fragte Caspar, dem das Herz erwartungsvoll zu pochen anfing.
Herr von Wessenig zeigte seine Zähne und stellte sich vor Vergnügen in die Steigbügel. »Nun rate mal,« sagte er, »wir wollen mal sehen, ob du raten kannst. Von wem kann das Brieflein sein?« Er zwinkerte Herrn von Rumpler verständnisinnig zu, indes Caspar den Kopf senkte.
Es quoll auf einmal Traumluft um Caspars Sinne und eine Hoffnung liebkoste ihn, die den kargen Tag verleugnete. Aus ihren Schleiern erhob sich die kummervolle Traumfrau und schwebte still vor den drei Rossen dahin. Jäh blickte er empor und sagte mit zögernden Lippen: »Ist vielleicht von meiner Mutter der Brief?«
Der Rittmeister runzelte ein wenig die Stirn, als ob es ihm bedenklich schiene, den Schabernack zu weit zu treiben, doch entäußerte er sich schnell der ernsten Regung, klopfte Caspar auf die Schulter und rief: »Erraten, Teufelskerl! Erraten! Mehr sag’ ich aber nicht, Freundchen, sonst könnt’ es mir übel bekommen.« Und mit dem letzten Wort setzte er sich fester in den Sattel und sprengte davon.
Eine Viertelstunde später kam Caspar atemlos nach Hause. Daumers saßen schon bei Tisch, sie schauten dem Ankömmling gespannt entgegen und Anna erhob sich unwillkürlich, als Caspar mit schweißbedeckter Stirne neben den Sessel ihres Bruders trat und mit gebrochener Stimme hervorjubelte: »Der Herr Rittmeister hat einen Brief bekommen von meiner Mutter!«
Daumer schüttelte erstaunt den Kopf. Er versuchte Caspar begreiflich zu machen, daß ein Mißverständnis oder eine Täuschung obwalten müsse; Mutter und Schwester unterstützten
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