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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Rechnung stimmt. Darüber habe er auch schon nachgedacht, erwiderte er; Caspar möge ihm doch sagen, wozu er am meisten Lust habe.
    Caspar schwieg und schaute unentschlossen vor sich hin.
    »Wie wäre es mit der Gärtnerei?« fuhr Herr von Tucher wohlwollend fort. »Oder wie wäre es, wenn du Tischler würdest oder Buchbinder? Deine Papparbeiten sind ganz vortrefflich, und du könntest das Buchbindergewerbe in kurzer Zeit erlernen.«
    »Dürft’ ich dann alle Bücher lesen, die ich einbinden soll?« fragte Caspar versonnen, der so geduckt saß, daß sein Kinn die Tischplatte berührte.
    Herr von Tucher runzelte die Stirn. »Das hieße eben den Beruf vernachlässigen,« antwortete er.
    »Ich könnte ja auch Uhrmacher werden,« sagte Caspar; er hatte in diesem Augenblick eine ziemlich überspannte Vorstellung von einem Uhrmacher; er sah einen Mann, der im Innern hoher Türme steht und den Glocken zu läuten befiehlt, der goldene Rädchen ineinander fügt und durch einen Zauberspruch die Zeit unsichtbar macht und in ein winziges Gehäuse bannt. Überhaupt mit solchen Namen war es schwer; nicht sein Wollen lag dahinter, sondern ein unbegreiflich verwickeltes Bild des ganzen Lebens. Herr von Tucher, voll Argwohn, als wurzle in dem Gehaben Caspars doch kein wahrer Ernst, erhob sich und sagte kalt, er werde sich die Sache überlegen.
    Am nächsten Abend wurde Caspar in Herrn von Tuchers Zimmer gerufen. »Ich bin nun mit Bezug auf unser gestriges Gespräch zu folgendem Entschluß gelangt,« sagte der Baron; »du bleibst das Frühjahr und den Sommer über noch in meinem Haus. Wenn du fleißig bist, kann deine Ausbildung in den Elementarfächern bis zum September beendet sein, dessen versichert mich auch Herr Schmidt. Damit nun der Tag ein ununterbrochenes Ganzes für dich wird, sollst du des Mittags nicht mehr mit mir essen, sondern alle Mahlzeiten auf deinem Zimmer einnehmen. Ich werde bald mit einem anständigen Buchbindermeister sprechen; wir wissen dann, woran wir sind. Bist du’s zufrieden, Caspar? Oder hast du andre Wünsche? Nur frisch heraus mit der Sprache, du kannst noch immer wählen.«
    Ein flüchtiger Schauer lief Caspar über den Rücken. Er schüttelte sich ein wenig, setzte sich nieder und schwieg. Herr von Tucher wollte ihn nicht weiter bedrängen, er wollte ihm Zeit lassen. Eine Weile ging er hin und her, dann nahm er vor dem Flügel Platz und spielte einen langsamen Sonatensatz. Es geschah dies nicht aus zufälliger Laune; am Dienstag und Freitag von sechs bis sieben Uhr abends spielte Herr von Tucher Klavier, und da der Kuckuck der Schwarzwälderuhr soeben sechs gekrächzt hatte, wäre eine Versäumnis sehr gegen die Regel gewesen.
    Es war eine ziemlich schwermütige Melodie. Für Caspar war dergleichen eine Qual; so gern er Märsche, Walzer und lustige Lieder hörte – die Anna Daumer, die kann spielen, sagte er immer –, so unbehaglich war ihm bei solchen Tönen. Als Herr von Tucher den Schlußakkord des Stückes angeschlagen hatte, sich auf dem Drehsessel umkehrte und Caspar fragend anschaute, dachte er, er solle sich äußern, wie es ihm gefalle, und er sagte: »Das ist nichts. Traurig kann ich von alleine sein, dazu brauch’ ich keine Musik.«
    Herr von Tucher zog erstaunt die Brauen in die Höhe. »Was maßest du dir an?« entgegnete er ruhig. »Ich habe kein musikalisches Urteil von dir verlangt, und ich habe nicht den Ehrgeiz, deinen Geschmack in dieser Hinsicht zu veredeln. Im übrigen geh auf dein Zimmer.«
    Caspar war es ganz lieb, daß er nicht mehr mit dem Baron zu essen brauchte. Das steife Beieinandersitzen erschien ihm jedesmal unsinnig und lästig. Vieles entzückte ihn an diesem Manne, besonders seine Ruhe und sein sachtes Sprechen, das überaus Reinliche seines Körpers,die porzellanweißen Zähne und vor allem die rosigen gewölbten Nägel der langen Hände. Er kannte viele Leute mit blassen Nägeln und mißtraute ihnen; blasse Nägel erweckten ihm die Vorstellung des Neides und der Grausamkeit.
    Doch immer hatte Caspar das Gefühl, als ob Herr von Tucher auf irgendwelche Art schlechte Nachrichten über ihn erhielte und sich davon betören lasse; es war ihm manchmal, als müsse er ihm zurufen: es ist ja alles nicht wahr! Aber was? Was sollte nicht wahr sein? Das wußte Caspar nicht zu sagen.
    In seiner Einsamkeit war ihm zumute, als seien die Menschen seiner überdrüssig und gingen damit um, sich seiner zu entledigen. Er war voller Ahnungen, voller Unruhe. In Nächten, wo der

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