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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Hauser?«
    Caspar hörte kaum; als der Mann seine Frage wiederholte, erhob er das Gesicht, schlug den feuchten Blick zum Himmel empor und sagte leise: »Ich hab’ es nicht geschrieben, was da vom Kerker steht.«
    »Vom Kerker und vom Throne,« fügte der Studiosus mit sonderbarem und begierigem Lächeln hinzu. »Daß Sie es nicht geschrieben haben, glaub’ ich schon, Sie haben ja das Schreiben erst bei uns gelernt.«
    »Aber wer kann es geschrieben haben?«
    »Wer? Das ist eben die Frage. Vielleicht einer, der helfen wollte; ein verborgener Freund vielleicht.«
    »Vom Kerker und vom Throne,« lallte Caspar mit willenlosem Mund. Er begab sich in die Ofenecke, kauerte sich auf einem Schemel zusammen und versank in tiefe Grübelei. Weder Ruf noch Mahnung noch Befehl vermochten ihn zu wecken, und der Studiosus, der sich schuldig fühlte, blieb, um kein Aufsehen zu machen, die Stunde über sitzen und entfernte sich dann still.
    Am selben Abend war eine Assemblee imTucherschen Haus, alle Freunde der Familie waren geladen, und eine halbe Stunde lang dauerte das Wagengerassel vor dem Haus. Als die ersten Tanzweisen vom Saal heraufschallten, begab sich Caspar in den Korridor und horchte. Er hatte nicht mehr Zutritt zu solchen Festen.
    Während er noch stand, ans Geländer gepreßt, den Kopf vorgebeugt, und er sich so recht verstoßen vorkam, berührte eine Hand seine Schulter. Es war der Lakai, der ihm auf silberner Platte einige Süßigkeiten brachte. Caspar schüttelte den Kopf und sagte: »Süßes mag ich nicht,« worauf der Diener ihn mürrisch mit den Blicken maß und sich zu gehen anschickte.
    Da kamen Schritte von der zweiten Treppe her, die unbeleuchtet war, und unversehens stand die alte Freifrau in grauseidenem Kleid und seidener Haarschärpe vor den beiden; indem sie ihre blauen Augen streng in die des Jünglings bohrte, sagte sie stolz und befremdet: »Süßes mag er nicht? Warum mag er denn Süßes nicht?«
    Sie kam von unten; Caspar roch deutlich den Menschendunst an ihren Gewändern. Es war ihre Art, sich früh zurückzuziehen. Bevor sie zur Ruhe ging, pflegte sie täglich durch das ganze Haus zu wandern, um nachzusehen, ob kein Feuer sei und kein Dieb sich eingeschlichen habe.
    Vor ihren rauh klingenden Worten duckte Caspar den Kopf. Es ist anzunehmen, daß seine Phantasie ungewöhnlich erregt war. Plötzlich spürte er eine lähmende Furcht. Schwärze stieg um seine Augen, es war ihm, als habe er die Stimme des Vermummten gehört, und den Arm ausstreckend, schrie er bittend: »Nicht schlagen, nicht schlagen!«
    Die alte Dame, die es so schlimm eben nicht gemeint hatte, blickte verwundert und erschrocken auf. Indes hatte Caspars lauter Schrei die Aufmerksamkeit einiger Gäste erregt, die im unteren Flur auf und ab spazierten. Sie wandten sich an Herrn von Tucher, und dieser ging die Treppe empor, gefolgt von einigen Herren. Unter der Gesellschaft im Saal verbreitete sich das Gerücht, es sei etwas passiert, und da Caspars Aufenthalt im Hause natürlich bekannt war, dachten alle an ein Ereignis wie das bei Daumer vorgefallene. Es entstand ein Schweigen, die Tanzmusik verstummte, viele drängten hinaus, besonders die jungen Damen waren erregt, und eine Anzahl von ihnen stieg die Treppe empor und blieb schauend stehen.
    Herr von Tucher, der dies alles aufs peinlichste empfand, wie ihm denn jedes unnütze Aufsehen ein Greuel war, schickte sich an, Caspar zur Rede zu stellen, wurde aber durch das versteinerte Bild des Jünglings abgeschreckt, auch machte ihn die bestürzte Haltung seiner Mutter stutzig.
    Es ging etwas Ungeheures in Caspar vor. Ihm war, als habe er, was jetzt geschah, schon einmal erlebt. Wie mit einer Sturzwelle riß es ihn zurück, und die Zeit schien ihren Atem anzuhalten. Da war die alte Frau, fürstlich geschmückt und majestätisch anzusehen; wie, glich sie nicht einem Weib, das einst in ein Gemach gekommen, wo auch er gewesen war, und hatte ihre Gegenwart nicht alle andern erstarren lassen? Lag nicht jemand auf dem Bett und vergrub den Kopf in die Kissen? Da war der Diener, der eine silberne Platte in Händen hielt; war dasnicht alt? Stand nicht auch damals einer da, der Geschenke brachte oder Süßes oder Kostbares? Da waren feierlich gekleidete Männer, die auf einen Befehl zu harren schienen, darauf warteten, daß einer käme, noch festlicher angetan als sie selbst, vor dem sie sich verneigen mußten? Und diese schlanken weißen Mädchen in weißen Schleiern, deren Blicke tief und bang

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