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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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waren? Und hier oben die Dämmerung, die sich über zahllose Marmorstufen hinab ins Licht verlor? Caspar hätte jauchzen mögen, denn er erschien sich fremd und zugleich von allen angebetet; sie senkten das Haupt, sie erkannten den Herrn in ihm; ja, er ahnte, was er war und von wo er kam, er spürte, was jenes Wort vom Kerker und vom Throne zu bedeuten hatte; ein geisterhaftes Lächeln umspielte seine Lippen.
    Herr von Tucher bereitete dem unangenehmen Auftritt ein möglichst stilles Ende. Er führte Caspar in sein Zimmer, gebot ihm, sich zu Bett zu begeben, wartete, bis er lag, verlöschte dann selbst das Licht und sagte beim Hinausgehen in scharfem Ton, er werde ihn am andern Morgen wegen seiner ungehörigen Aufführung zur Rechenschaft ziehen.
    Darum scherte sich Caspar wenig. Es wurde auch nicht viel aus der gedrohten Abrechnung. Herr von Tucher sah ein, daß den Grundsätzen eigentlich nichts zuleide geschehen war. Sein Koch verriet ihm im hohlen Ton der Prophezeiung, Caspar sei mondsüchtig und werde sicherlich einmal aufs Dach steigen und herunterstürzen. Herr von Tucher konnte den Mond nicht abschaffen; da der Jüngling krankhaften Zuständen unterworfen schien, durfte man ihn für gewisse Fehltrittenicht verantwortlich machen. Ob Caspar Tischler oder Buchbinder werden solle, war noch immer unentschieden. Es mußte hierzu die Meinung des Präsidenten Feuerbach eingeholt werden. Herr von Tucher nahm sich vor, im April nach Ansbach zu fahren und mit dem Präsidenten zu sprechen.
    Caspar aber war voller Erwartung. Er wartete auf einen, der kommen mußte, auf einen, der irgendwo unter den Menschen ging und den Weg zu ihm suchte, und so fest war der Glaube an diesen Kommenden, daß er jeden Morgen dachte: heute, und jeden Abend: morgen. Er lebte in einem beständigen innerlichen Spähen, und seine ahnungsvolle Freude glich einem Traum. Aber wie der Pfau seinen Schweif niederschlägt, wenn er seine häßlichen Füße gewahrt, so machte seine eigne Stimme, sein eigner Schritt ihn schon wieder zaghaft, um wie viel mehr erst der Anblick von Menschen, die täglich seine Erwartung enttäuschen mußten.
    Sein ganzes Treiben in dieser Zeit war außergewöhnlich, und die aufmerksam horchende Spannung gegen ein Leeres hin hatte etwas von Wahnwitz. Freilich, zusammengehalten mit dem Verlauf der Ereignisse bot sie ein andres Gesicht und hätte einem Mann wie Daumer absonderlichen Stoff für seine Ideen geliefert.
    Es lauerte viel Heimliches und Feindseliges auf Caspars Wegen, und es überlief ihn kalt, wenn im Nebel ein Tropfen von einer Dachrinne fiel. Angstvorstellungen begleiteten ihn bis in den Schlaf, und weil er oftmals erwachte und die Finsternis ihn quälte, bat er, daß man neben seinem Bett ein Öllämpchen brennen lasse. Dies geschah.
    Einstmals in einer Nacht spürte er, noch schlummernd, ein eigentümliches Ziehen im Gesicht, als ob ihn von oben her ein kühler Atem streife. Jählings richtete er sich auf, blickte über Bett und Wand und gewahrte eine große Spinne, die an einem Faden in der Nähe seines Kopfes hing. Entsetzt sprang er aus dem Bett, und unfähig, sich zu regen, beobachtete er, wie das Tier sich aufs Kissen niederließ und über das weiße Linnen kroch, einen glitzernden Faden hinter sich herschleppend.
    Caspars ganzer Leib war wie mit einer neuen, schaudernden kalten Haut bedeckt. Er preßte die Hände zusammen und flüsterte angstvoll und seltsam schmeichelnd: »Spinne! Was spinnst du, Spinne?«
    Die Spinne duckte den gelblichen Leib.
    »Was spinnst du, Spinne?« wiederholte er flehend.
    Das Tier überklomm den Bettpfosten und gewann die Mauer. »Was schickst du dich denn so, Spinne?« hauchte Caspar. »Warum so eilig? Suchst du was? Ich tu’ dir nichts ...«
    Die Spinne war schon oben an der Decke. Caspar setzte sich auf den Stuhl, wo die Kleider hingen. »Spinne, Spinne!« sagte er tonlos vor sich hin. Es schlug vier Uhr draußen und er hatte sich noch immer nicht ins Bett zurückgetraut. Dann, ehe er sich hinlegte, wischte er Kissen und Wand eifrig mit dem Taschentuch ab.
    Er trug von der unbekleidet verwachten Stunde eine Erkältung davon, die ihn mehrere Tage ans Lager fesselte. Er wurde traurig, des Wartens war er schon müde. Obwohl ihm schließlich nichts mehr fehlte, hatte er keine Lust,das Zimmer zu verlassen. Herr von Tucher nahm seinen Zustand für ein hypochondrisches Zwischenspiel; als er sich jedoch überzeugte, daß sowohl seine vorsätzliche Gleichgültigkeit wie sein

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