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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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unbekannten Frevlers zu betrachten.«
    Hickel senkte den Kopf, und von neuem irrte das leere Lächeln über sein Gesicht. »Verzeihen Eure Lordschaft,« entgegnete er hastig und ziemlich erschrocken, »aber das ist die Meinung der ganzen Welt, zumindest des aufgeklärten und vernünftigen Publikums. Erst gestern war ich Zeuge, wie der Ritter von Lang und der Pfarrer Fuhrmann sich über den Findling und die Dummheit der Nürnberger geäußert haben. Das hättender Herr Graf nur hören sollen. Wir wissen ja dahier auch, es ist von Gerichts wegen bekannt geworden, was der Herr von Tucher über den Undank und die moralische Verderbtheit des Findlings an Eure Lordschaft geschrieben hat. Zeigen Sie doch Herrn Quandt den Brief des Barons und er wird sich überzeugen, daß ich nur gesagt habe, was jeder anständige und vorurteilslose Mann darüber denkt.« Und Hickel heftete auf den Grafen einen befremdet-forschenden Blick.
    »Dem ist nicht ganz so,« versetzte Stanhope abweisend und nippte mechanisch von der Kaffeetasse. »Herr von Tucher spricht in seinem Brief nur von einigen übeln Gewohnheiten Caspars. Auch ich habe Augen; ein liebendes Herz ist niemals blind; versteht es nicht abzuwägen, so ist ihm doch die Gabe der Ahnung eigen. Im übrigen wollen wir unserm würdigen Gastgeber nicht vorgreifen. An ihm wird es sein, zu richten. Was krumm gewachsen ist, kann er grade biegen, und wenn er mir die häßlichen Flecken von meinem Kleinod nimmt, will ich’s ihm fürstlich danken.«
    Hickel verzog das Gesicht und schwieg. Quandt hatte mit gespannter Aufmerksamkeit das Gespräch verfolgt. Wozu der Wortstreit? dachte er; als ob es nicht die leichteste Sache von der Welt wäre, zu erkennen, ob einer ein Spitzbube ist. Man muß die Augen offen halten, das ist alles; der Gute ist gut, der Böse ist bös, wo liegt da die Schwierigkeit? Ein Übel auszurotten, wenn es sich nicht zu tief eingefressen hat, ist nur eine Frage der Tatkraft und Umsicht. Aber mir scheint, mir scheint, meditierte der Lehrer in seinemstillen Sinne weiter, da sind noch ganz andre Dinge verborgen, die Herren reden nicht von der Leber weg.
    Und damit traf er wohl das Richtige, wie sich bald erweisen sollte. Er entwickelte dem höflich zuhörenden Lord seine Anschauungen über Moral, über den Verkehr mit Menschen, den Umgang mit Schülern, die Notwendigkeit der Aufmunterung, den Wert der Zensur; alles ein wenig umständlich und verklausuliert, aber einfach, staunenswert einfach; nur die sorgenvolle Miene gab einen Anschein von Schwierigkeit und Philosophie. Der Lord nickte ein paarmal mit dem Kopf, während Hickel entschiedene Zeichen von Ungeduld von sich gab. Dann beim Fortgehen, während Stanhope sich von der Frau verabschiedete, zog Hickel den Lehrer beiseite und flüsterte ihm zu: »Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen durch die Reden des Grafen, lieber Quandt. Der gute Graf betrügt sich selber und möchte das Sonnenklare nicht wahr haben. Die Teufelsgeschichte nimmt ihn absonderlich her. Sie leisten ihm einen gewaltigen Dienst, wenn Sie den Schwindler entlarven.«
    Das war das Merkwort und der Anschlag. Es barg den Kern des Komplotts. Nun, Caspar, sollst du in ein kleines Städtchen gehen und in ein kleines Haus, sollst in Verborgenheit leben, und die Wände der Welt sollen sich verengen, bis sie wieder zum Kerker werden. Gewalt hat sich der List verbrüdert; der Richter wird richten, was er sieht, und nicht wissen, was er fühlt. Niedrig sollst du werden, damit die Freunde sich in Feinde verwandeln und deine Einsamkeit leichtere Beute des Verfolgers sei. Das Blut soll gegensich selber zeugen, Licht soll verweslich werden, Frucht soll nicht mehr wachsen, die Stimme des Himmels soll verstummen, und auf die Nacht – denn Nacht wird sein – soll keine Frühe folgen.
Ein Kapitel in Briefen
    Freiherr von Tucher an Lord Stanhope:
    Seit geraumer Zeit bin ich ohne Nachricht von Eurer Herrlichkeit. Die unsichere Lage, in der ich mich Caspar gegenüber befinde, veranlaßt mich, zudringlicher zu sein, als es Ihnen, verehrter Herr, genehm sein mag, und Sie um eine rasche Erledigung der schwebenden Angelegenheit zu bitten, um so mehr, da meine Teilnahme an dem Findling nicht mehr die gleiche wie ehedem ist, und er selbst wiederum durch den gezwungenen Aufenthalt in meinem Hause sich mehr als ein Gefangener, denn als Gast und zugehöriges Glied erscheinen muß. Ein endgültiger Zustand wäre dem Jüngling ehestens zu wünschen; seine aufgeregten Hoffnungen

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