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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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enthalten seinem Geist jede Ruhe vor, und Tag für Tag glüht er in einer so fieberhaften Erwartung, daß an ein vorgesetztes Studium nicht mehr zu denken ist und auch dem blödesten Auge die Unruhe seines Gemüts nicht entgeht. Die Abende bringt er mit unnützen Schreibereien hin, und sein Hauptvergnügen ist, mit der Spitze eines Bleistifts auf einer großen Landkarte die Straßen zu verfolgen, die er bald mit Eurer Lordschaft zu fahren hofft, jedenfalls eine praktische, wenn auch einseitige Art, Geographiezu treiben. Er spricht, denkt und träumt von nichts anderm als von der bevorstehenden Reise, und wenn Ihnen, Mylord, noch ein Geringes an dem Wohl des unglücklichen Jünglings gelegen ist, so vermag ich keinen stärkeren Appell an Ihre Güte zu erheben als den, ein so drängendes und fruchtloses Hinweben in möglichster Bälde zu beenden. Sie sind der einzige Mensch auf Erden, dessen Wort und Name noch Gewicht in seinen Ohren hat, und sein grenzenloses Vertrauen gegen Sie muß auch das Herz desjenigen bewegen, der sonst durch die Launen, die Unverläßlichkeit und Zwitterhaftigkeit des rätselvollen Wesens eines ehemals intensiven Attachements für ihn beraubt wurde.
    Daumer an den Präsidenten Feuerbach:
    Eure Exzellenz haben mir die Ehre erwiesen, mich um Auskunft über Caspar Hausers nunmehrige Verfassung zu ersuchen. Ich muß gestehen, daß mich dies einigermaßen in Verlegenheit gesetzt hat. Ich habe mich in den letzten anderthalb Jahren wohl gehütet, dem so sorgfältig Abgeschlossenen nahezutreten, weil ja hierzulande jeder ängstlich bedacht ist, sein kleinstes Privileg vor fremdem Einspruch zu wahren, und so wird ein Interesse, das die Menschheit angeht und jeden freien Geist in Mitleidenschaft ziehen muß, unversehens zur Angelegenheit einer Partei. Eure Exzellenz möge diese Insinuation entschuldigen, sie möge lediglich für meine unerloschene Teilnahme an dem Los des Findlings zeugen, das seinen Freunden heute weniger als je Anlaß zu übertriebenen Hoffnungen gibt. Die vertrauensvolle Zuschrift Eurer Exzellenz hat meine Bedenklichkeitbesiegt, ich habe Caspar letzter Tage im Tucherschen Haus aufgesucht, er ist auch, zum erstenmal seit langer Zeit, bei mir gewesen, und ich gebe Ihnen hier einige Mitteilungen über ihn, die, wiewohl allgemeiner Natur, doch das Besondere seiner gegenwärtigen Lage erhellen.
    Caspar ist ein hochaufgeschossener junger Mann geworden, der jetzt gut und gern den Eindruck eines etwa Zweiundzwanzigjährigen macht. Träte er, der nun den gesitteten Menschen von Lebensart zugerechnet werden muß, unerkannt in eine Gesellschaft, so würde er doch als eine befremdliche Erscheinung auffallen; sein Gang hat etwas von dem Furchtsam-Zaudernden und Vorsichtigen einer Katze; seine Züge sind weder männlich noch kindlich, weder jung noch alt: sie sind alt und jung zugleich, besonders auf der Stirn verraten einige leicht gezogene Furchen seltsam ein vorzeitiges Altern. Auf seiner Lippe sproßt heller Bartflaum, dies scheint ihn oft befangen zu machen, will auch nicht zu der sanften Mädchenhaftigkeit des Gesichts und den noch immer bis zur Schulter hängenden braunen Haarlocken stimmen. Seine Freundlichkeit ist herzgewinnend, sein Ernst bedächtig, über beiden schwebt stets ein Hauch von Melancholie. Sein Benehmen ist altklug, hat aber eine vornehme, ganz ungezwungene Gravität. Tölpelhaft und schwerfällig sind bloß noch manche seiner Gebärden, auch seine Sprache ist hart und die Worte sind ihm nicht immer bereit. Er liebt es, mit wichtiger Miene und in anmaßendem Ton Dinge zu sagen, die bei jedem andern läppisch klängen, aus seinem Mund jedoch sich ein schmerzlich-mitleidiges Lächeln erzwingen; so ist es höchst possierlich, wenn er von seinen Zukunftsplänenspricht, von der Art, wie er sich einrichten wolle, wenn er was Rechtes gelernt, und wie er es mit seiner Frau halten wolle. Eine Frau betrachtet er als notwendigen Hausrat, als etwas wie eine Obermagd, die man behält, solange sie taugt, und fortschickt, wenn sie die Suppe versalzt oder die Hemden nicht ordentlich flickt.
    Sein immer sich gleichbleibendes stilles Gemüt ähnelt einem spiegelglatten See in der Ruhe einer Mondscheinnacht. Er ist unfähig zu beleidigen, er kann keinem Tier weh tun, er ist barmherzig gegen den Wurm, den er zu zertreten fürchtet. Er liebt den Menschen; jedes Menschengesicht wird ihm zum Götterantlitz, und er sucht den ganzen Himmel darin. Nichts Außerordentliches ist mehr an ihm als das

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