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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Oheims mich zwingt, die Stadt zu verlassen und nach Augsburg zu reisen. Ich habe die Obsorge für den noch in meinem Hause weilenden Caspar Herrn Bürgermeister Binder und Herrn Professor Daumer übergeben und es ihnen anheimgestellt, Caspar hier zu belassen oder für die restliche Frist seines Aufenthaltes in der Stadt zu sich zu nehmen. Eine Mitteilung über das Bevorstehende oder auch nur eine Andeutung ist von meiner Seite aus gegen den Jüngling noch nicht erfolgt, und ich muß ohne Hehl bekennen, daß mich eine gewisse unbesiegbare Furcht davon abhält. Caspar glaubt noch steif und fest daran, daß er mit seinem erlauchten Beschützer nach England oder Italien reisen soll, ihm erscheint eine, wenn auch nur zeitweise Entfernung von dem Grafen als eine Sache der Unmöglichkeit, und derjenige, der ihm eine solche Kunde überbringt, müßte eine göttliche Überredungskunst besitzen, um ihn mit den neuen Umständen zu versöhnen. Meinem unmaßgeblichen Erachten nach ist es ein Fehler, den Knaben wiederum in enge Verhältnisse zu bringen, die ihn niemals werden befriedigen, seinen Durst nach Leben und Betätigung nichtwerden stillen können. Der Hang seiner Ideen hat eine verhängnisvolle Anmaßung gewonnen, er ist dem Kreis friedlicher Bürgerlichkeit entwachsen, sein Lerneifer in den vergangenen Monaten war gleich Null, alle seine Gedanken, sein ganzes Streben ist auf den Lord gerichtet, und wenn nun Graf Stanhope von ihm gehen wird, dann bin ich sicher, daß er einen unglücklichen Gesellen, ein unnützes und bedauernswertes, aus jedem sozialen Zusammenhang gelöstes Glied der menschlichen Gesellschaft zurücklassen wird. Wenn es der eigentliche Wesenszug der Fürstenkinder wäre, daß sie dem privaten Leben untauglich und hilflos gegenüberstehen, dann allerdings wäre Caspar ein Auserwählter unter den Prinzen. Vielleicht aber schmiedet ihn das Schicksal noch, und es wird ein Mann aus ihm, der eine Krone zu erwerben vermag, wenn es auch eben keine Fürstenkrone ist. Für mich ist die Episode Caspar Hauser nunmehr abgeschlossen, und was auch immer ich an Enttäuschung und Bitterkeit daraus gewonnen habe, sie hat mir einen Einblick in Menschenwahn und Menschengeschäfte gegeben, den ich für mein ferneres Leben nicht missen möchte. So muß eben jeder auf seine Weise bezahlen.
    Daumer an den Präsidenten Feuerbach:
    Ich fühle mich verpflichtet, Eurer Exzellenz von den Ereignissen der letzten Tage eine wahrheitsgetreue Darstellung zu machen, insoweit eben Wahrheit auf zwei Augen ruht. Vielleicht klingt vieles von dem, was ich zu berichten habe, so ungewöhnlich, daß ich mich fragen muß, ob ein Mann, der den übeln Ruf eines nicht ganznüchternen Kopfes genießt, die geeignete Person ist, solche Vorfälle zu beschreiben. Aber die strenge Einsicht Eurer Exzellenz habe ich noch am wenigsten zu fürchten; wenn ich sachlich bin, wird die Sache für sich selber sprechen, und meiner Hand bleibt nur die Aufgabe, die Reihenfolge der Begebnisse festzuhalten, was freilich nicht immer ganz leicht sein mag.
    Vor vier Tagen besuchte mich Herr von Tucher und teilte mir mit, daß er wegen eines Todesfalles verreisen müsse. Schon vorher hatte er mich wie auch Herrn Binder gebeten, die Aufsicht über Caspar zu führen so lange, als der Jüngling noch in Nürnberg bleiben müsse. Da mir dies befremdlich erschienen war, ließ Herr von Tucher durchblicken, die an höherer Stelle beliebte Umgehung seiner Person mache ihm ein solches Handeln zum Gebot. Er meinte das Schreiben Eurer Exzellenz, durch welches ich, halb wider Willen, bewogen wurde, Caspar aufzusuchen und mich neuerdings mit ihm zu beschäftigen. Dies hatte Herr von Tucher sehr übel aufgenommen. Ich gab mir keine Mühe, den stolzen Mann andern Sinnes zu machen, auch vermute ich zu seiner Ehre, daß dies Betragen noch eine ernstere, menschliche Regung habe, denn als ich ihn fragte, ob er Casparn schon eine Andeutung über die zu erwartende Ankunft des Polizeileutnants Hickel gemacht, wich er aus und entgegnete hastig, er wolle dies mir überlassen, der ich doch eines gewinnenderen Zuredens fähig sei und bei Caspar mehr Vertrauen genieße.
    Am Nachmittag beschloß ich, zu Caspar zu gehen. Als ich in sein Zimmer trat, las er die christliche Andacht des Tages. Er schaute heitervon dem Buch empor, blickte in mein Gesicht und, Seltsameres ist nicht zu denken, im Nu überzogen sich seine Wangen mit leichenfahler Blässe. Es war mir schwül um die Brust, ich setzte mich auf

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