Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
ein kleiner Windstoß könnte alles wegblasen, und ich würde nackt und zitternd unter dunklen, tosenden Wolken zurückbleiben.
Ich schob die Decke etwas zurück, strich Drake einige Haarsträhnen aus der Stirn und küßte ihn sanft auf die Wange. Morgen würde ich ihn nach Winnerow bringen. So plötzlich wie er in diese reiche und elegante Welt gebracht worden war, so plötzlich würde er sie wieder verlassen. Ich wußte, daß es verwirrend für ihn war, doch dies war kein Ort, an dem er aufwachsen konnte. Mein Leben mag hier in Farthy begonnen haben, aber mein Herz zog es nach Winnerow in das Hasbrouck-Haus, von wo aus ich die Willies sehen konnte.
Es war besser für Drake, im Sonnenlicht aufzuwachsen und nicht in den Schatten der großen, leeren Hallen von Farthinggale, umgeben von den klagenden Geistern der Tattertons.
Nachdem ich einige Sachen gepackt hatte, wurde ich so müde, daß ich beschloß, schlafen zu gehen. Obwohl ich völlig erschöpft war, lag ich mit weit offenen Augen im Bett und starrte in die Dunkelheit. Ich dachte an Logan und daran, wie das Leben in Winnerow jetzt für uns aussehen würde. Ich hoffte, ich könnte ihm verständlich machen, warum ich nichts mit Farthinggale Manor und nur wenig mit Tony zu tun haben wollte. Natürlich würde ich ihm nichts von Troy erzählen, aber er würde erfahren, daß Tony versucht hatte, Luke von mir fern zu halten. Hoffentlich war er darüber genauso wütend wie ich. Am meisten aber wünschte ich, daß er mir wieder ganz nahekommen würde, daß wir im Laufe der Zeit dieses wunderbare, erregende Gefühl wiederentdecken würden, das wir schon auf der Highschool miteinander geteilt hatten.
Und dann mußte ich an Troy denken. Ich fragte mich, wo er war und wieviel er von meinem Leben wußte. Vielleicht beobachtete er alles, wie bei meinem Hochzeitsempfang. Oder hatte er sich wirklich von allem zurückgezogen, was mich und Farthy betraf?
Mit jedem neuen Tag wurde er mehr und mehr zu einer Illusion, zu einer Personifikation der idealen Liebe, der unerreichbaren, perfekten Liebe, die wie eine schöne, schimmernde Seifenblase zerplatzt, wenn man sie berührt. Wie die Seifenblase konnte man auch diese Liebe nicht festhalten.
Das alles war mir jetzt bewußt. Und ich wußte, daß die Liebe, die ich für Logan empfand, ihre Wurzeln in der Wirklichkeit hatte. Ich mußte sie pflegen, nähren, ihr helfen, zu einer starken Eiche zu werden, die von keinen Stürmen des Lebens zu erschüttern ist. Mit Logan würde ich ein Leben aufbauen, eine Familie, eine Zukunft. Ich hatte viel verloren, aber ich hatte auch noch viel, wofür ich dankbar sein konnte und das mir wichtig war.
Wie ich über all das nachdachte, traten mir die Tränen in die Augen, aber ich wollte mich nicht in den Schlaf weinen. Ich schloß nur die Augen und fühlte, wie ich in das Kissen zurücksank, wie ich davonglitt… als mich plötzlich ein Geräusch in die Wirklichkeit zurückholte. Jemand hatte die Zimmertür aufgestoßen. Ich setzte mich schnell auf und sah die Silhouette eines Mannes an der Türschwelle. Einen Moment lang dachte ich, es sei Troy, und mein Herz hüpfte vor Freude. Aber dann hörte ich die Stimme.
»Leigh, bist du wach?«
Es war Tony. Selbst aus der Entfernung konnte ich den Alkohol riechen, den er ausatmete.
»Was willst du, Tony?« fragte ich so hart und kalt wie möglich. Zuerst antwortete er mit einem leichten Lachen, dann suchte er den Lichtschalter. Plötzlich war das Zimmer hell erleuchtet. Ich bedeckte meine Augen mit der Hand, und als ich sie wieder fortnahm, sah ich, daß er näher kam. Er trug nur eine weite Hose und ein Hemd, das bis zum Nabel aufgeknöpft war. Auf dem Arm hatte er eines von Jillians Nachthemden.
»Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte er. Seine Augen waren glasig und seine Haare zerwühlt. »Es gefällt mir an dir. Würdest du es noch einmal für mich tragen? Bitte.«
»Ich habe es niemals für dich getragen, Tony. Du bist betrunken. Geh jetzt, bitte!«
»Aber natürlich hast du es für mich getragen. Und sieh mal«, sagte er, indem er die Hand unter dem Nachthemd hervorzog, »ich habe dir auch etwas von Jillians Parfüm mitgebracht. Ich weiß doch, wie sehr du es magst. Du wolltest doch immer, daß sie dir etwas abgibt. Laß mich dich damit betupfen«, sagte er und setzte sich auf mein Bett. Ich wich zurück, aber er hielt mich fest und strich mit dem Fläschchen über meinen Hals. Der schwere Duft von Jasmin stieg mir in die Nase. Ich
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