Casteel-Saga 03 - Gebrochene Schwingen
auf das Labyrinth.
Vom Ozean her war Nebel aufgezogen. Es sah aus, als ob Wolken vom Himmel gefallen wären, die sich nun in den geheimen, dunklen Gängen festsetzten. Allmählich überzog sich der Himmel. Anscheinend zog ein Gewitter herauf.
Ich stand am Fenster mit meiner Großmutter mütterlicherseits und blickte auf die Welt dort draußen, die allmählich in Aufruhr geriet. Auch ich fürchtete die Geister, die sie bedrohten. Erst als Martha ins Zimmer kam und nachsah, was los war, merkte ich, wie lange ich schon hier war. Die ganze Zeit über hatte ich Jillians Hand gehalten. Als ich sie losließ, legte sie ihre Hand in den Schoß, und ich ging zu Martha.
»Sie haben recht«, sagte ich leise, »sie ist verändert.«
Martha nickte kurz und schaute auf Jillian. Die Traurigkeit ließ ihre Augen schwer erscheinen.
»Ich fürchte, sie könnte schizophren werden, Mrs. Stonewall.«
»Ganz richtig, Martha. Ich muß Mr. Tatterton dazu bringen, daß er einen Arzt kommen läßt.«
»Ich bin froh, daß Sie meiner Meinung sind, Mrs. Stonewall«, sagte Martha. »Vor ein paar Stunden habe ich Mr. Tatterton von Jillians Veränderungen erzählt. Er sagte, er würde vorbeikommen, aber bis jetzt war er noch nicht da.«
»Er wird kommen. Ich kümmere mich darum«, versicherte ich ihr.
»Vielen Dank«, sagte Martha. Beide schauten wir Jillian noch einmal an. Sie hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
»Schuld ist etwas, was der Mensch am allerschwersten ertragen kann«, sagte ich, fast nur noch flüsternd, mehr zu mir selbst. Doch Martha hatte es gehört und stimmte mir zu.
Ich verließ das Zimmer und eilte hinüber zu unseren Räumen. Ich wollte vermeiden, daß die Dienstboten meine Tränen sahen. Ich wußte, daß das, was Jillian gesagt hatte, wofür ihr die anderen die Schuld gaben und wofür sie sich immer schuldig gefühlt hatte, immer tief in ihr geschlummert hatte, bereit, bei der ersten Gelegenheit aufzutauchen und das Werk der Zerstörung an ihrer schon kranken Seele fortzuführen.
Das gleiche galt auch für mich. Bis jetzt war ich recht erfolgreich gewesen, jene Gedanken zu unterdrücken. Aber nun, wo ich Jillian gesehen und gehört hatte, fragte ich mich, wann sie wohl aufsteigen würden, um mich zu bedrohen, wann ich, wie Jillian, Geister sehen würde… Troys Geist. Ich hätte mich mehr darum kümmern sollen, daß er nicht so verzweifelte. Natürlich hätte ich ihn nicht allein lassen und herumreisen dürfen. Ihn zurücklassen in der Hütte, in unserem Liebesnest, wo wir so viele glückliche Stunden verbracht hatten.
Wie viele Nächte mag er wohl wachgelegen und darüber gegrübelt haben, warum ich ihn hatte fallen lassen, warum ich unser Schicksal akzeptiert hatte? Ich wußte doch, wie sehr er sich in Verzweiflung fallen lassen konnte. Er nahm jeden Schmerz so schwer, und dennoch ließ ich ihn allein mit dem größten Schmerz von allen… einem gebrochenen Herzen. Er hatte keine Hoffnung mehr. Er mußte glauben, daß die dunkle Einsamkeit, die er jetzt erlitt, für sein ganzes Leben anhalten würde.
Wenn ich in Jillians Augen schaute, konnte ich den Schmerz, den sie verspürte, nachvollziehen. Davor, wie vor ihrem Wahnsinn, mußte ich flüchten. Würde auch mich die Schuld packen und schütteln, bis ich verrückt wurde und nur noch in meinen sorgenvollen Gedanken lebte?
O Troy, Troy, wie solltest du auch wissen, daß du der letzte Mensch auf Erden warst, dem ich hätte Kummer bereiten wollen!
Doch ich mußte die Gedanken an Troy weit von mir schieben. Ich war jetzt die Frau von Logan, und ich mußte dafür sorgen, daß ich ihm niemals so viel Kummer bereiten würde wie Troy.
Ich duschte mich, zog mich um und ging wieder nach unten, um Tony zu suchen und ihm zu sagen, daß er unbedingt mit Martha Goodman sprechen müsse.
Tony und Logan waren nicht mehr im Büro. Curtis sagte mir, daß sie eine Botschaft hinterlassen hatten und daß sie nach Boston gefahren waren.
»Es geht um Pläne für die Fabrik in Winnerow«, sagte Curtis leicht geknickt, weil er sich nicht mehr an den genauen Wortlaut der Botschaft erinnern konnte.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Curtis. Vielen Dank.« Ich wußte nicht, ob ich über Logans Hingabe an die Tatterton-Spielzeugwerke lachen oder weinen sollte. Eigentlich mußte er müde sein von der Reise, aber das hatte ihn nicht abgehalten, seine Entschlossenheit zu zeigen. Tony hätte es eigentlich auch wissen sollen, dachte ich. Warum sorgte er derartig verbissen dafür, daß
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