Casteel-Saga 05 - Dunkle Umarmung
er den Sprungdeckel öffnete, spielte sie die Melodie ›Greensleeves‹.«
»Hat er wie ein alter Seebär ausgesehen?« fragte ich lachend. Daddy erzählte mir immer, es sei so gewesen.
»Ich wußte nichts über das Meer oder über seine Geschäfte, da ich mein ganzes Leben mitten in Texas verbracht hatte, aber er hatte denselben Bart, den er heute noch trägt, nur war er damals noch nicht ganz so grau – und wesentlich gepflegter, muß ich hinzufügen. Jedenfalls hat er in aller Ausführlichkeit von seiner Dampfschiffahrtsgesellschaft erzählt, die immer weiter wuchs. Großmama fand das interessant«, meinte sie mit einem hämischen Lächeln. »Sie rechnete sich schon aus, was für einen reichen Freier Peggy haben würde.«
»Und was ist dann passiert?«
»Er hat darum gebeten, sich unsere Gärten ansehen zu dürfen, und ehe Großmama Peggy dazu bringen konnte, ihn dort herumzuführen, hat er sich an mich gewandt und mich gefragt, ob ich sie ihm zeigen würde. Du hattest ihre Gesichter sehen sollen! Peggys Gesicht wurde noch länger als sonst, ihr Kinn ist bis auf ihren Adamsapfel gefallen, und Beatrice hat doch tatsächlich gestöhnt.
Natürlich habe ich mich bereit erklärt, ihn herumzuführen, erst nur, um die anderen zu ärgern, doch als wir erst in die warme Nacht von Texas hinausgetreten waren…«
»Ja?«
»… und er mit sanfter Stimme zu reden begann, erkannte ich, daß Cleave van Voreen mehr als nur ein fader Geschäftsmann aus New England war. Er war reich und klug und auf seine Art gutaussehend, ja, aber außerdem war er auch sehr einsam und ganz und gar von mir hingerissen, derart hingerissen, daß er mir doch tatsächlich an jenem ersten Abend einen Heiratsantrag gemacht hat. Wir standen neben den jungen Rosenstöcken.«
»Ich dachte, du hättest auf der Schaukel gesessen, und es sei erst am zweiten Abend dazu gekommen.«
»Nein, nein, es war bei den Rosensträuchern, und es war am ersten Abend. Die Sterne… der Nachthimmel war von Sternen übersät. Über uns fand eine solche Explosion an Licht statt, daß es mir den Atem geraubt hat«, erklärte sie, legte zart die Finger auf ihre Kehle und schloß die Augen, als sei diese Erinnerung mehr, als irgend jemand ertragen könnte.
Ich hielt den Atem an. Heute abend erzählte sie die Geschichte noch besser als je zuvor. Sie will sie ganz besonders schön für mich machen, weil heute mein zwölfter Geburtstag ist, dachte ich. Vielleicht wandelte sie die Geschichte von Mal zu Mal ab, weil sie meinte, je älter ich würde, desto mehr dürfte ich davon hören.
»Und plötzlich hat Cleave meine Hand in seine genommen und gesagt: ›Jillian, ich bin durch dieses ganze Land gereist und habe viele andere Länder gesehen, viele Völker und viele schöne Frauen, vom Orient bis Südamerika, hawaiianische Prinzessinnen, russische Prinzessinnen und englische Prinzessinnen, aber nie ist mir ein so schöner Anblick wie du unter die Augen gekommen. Du bist ein so prächtiger Edelstein wie jeder einzelne der Sterne, die über uns funkeln. Ich bin ein Mann der Tat‹, fuhr er fort, ›der, wenn er erst einmal erkannt hat, was wertvoll ist auf dieser Welt und was nicht, augenblicklich Entscheidungen trifft, aber es sind glühende Entscheidungen, Entscheidungen, zu denen er stehen wird, die jeder Auseinandersetzung und jedem Aufruhr standhalten.‹
Dann hat er meine andere Hand in seine genommen und gesagt: ›Ich werde diese Stadt nicht verlassen, solange du nicht meine Frau geworden bist.‹«
Lautlos bildeten meine Lippen die Worte im Chor mit ihr. Ich hatte diesen Satz schon so oft gehört und fand ihn jedesmal wieder berauschend. Wenn man sich vorstellte, daß mein Daddy in diesem staubigen Städtchen in Texas geblieben wäre und seine Geschäfte für immer und ewig vernachlässigt hätte, bis er die Frau bekam, die er liebte… diese Romanze gehörte wirklich in eine Geschichtensammlung, und jetzt wollte ich sie aufschreiben.
»Nun, Leigh, natürlich war ich von einer solchen Liebeserklärung überwältigt. Er bat mich um Erlaubnis, um meine Hand anzuhalten, und die habe ich ihm gegeben. Dann ist er ins Haus gegangen und hat unter vier Augen mit Großmama Jana gesprochen und auch sie um ihre Einwilligung ersucht. Sie war schockiert, aber ich vermute, sie hat sich gedacht, daß sie sich diesen reichen Freier so wenigstens für eine ihrer Töchter angeln könnte.
Anschließend kam er eine Woche lang täglich ins Haus, und meine Schwestern sind vor Neid
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