Castello Christo
entgegen.
»Wie spät ist es?«
Varotto sah auf die Uhr. »Drei Minuten vor zwölf.«
»Ich brauche kurz deinen Wagen.«
Varotto sah ihn verdutzt an. »Meinen Wagen? Wozu?«
»Das kann ich dir erst sagen, wenn ich zurück bin. Bitte vertrau mir.«
»Ich komme mit.«
Matthias schüttelte den Kopf. »Nein. Ich muss nur etwas überprüfen. Bitte, Daniele, es kann sehr wichtig sein. Vielleicht sogar lebenswichtig. Ich bin gleich wieder zurück. Bitte.«
Varotto zeigte mit einer übertriebenen Geste auf sein Auto. »Also gut«, schnaubte er. »Der Schlüssel steckt.«
Ohne ein weiteres Wort stieg Matthias ein. Doch als er den Wagen auf der Straße gewendet hatte, hielt er noch mal kurz neben Varotto an und ließ die Scheibe herunter.
»Danke, Daniele. Ich werde dir später alles erklären. Drück mir die Daumen, dass meine Vermutung nicht zutrifft.«
12 Uhr. Rom. In einigen Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen
66
Der Ablauf der Telefonate war stets der gleiche. Der Mann verlangte, den Chefredakteur oder eine Person in leitender Position zu sprechen, und erklärte auf Nachfrage, er sei einer derjenigen, die für die Kreuzwegmorde verantwortlich seien. Spätestens nach diesem Satz dauerte es in den meisten Fällen nur Sekunden, bis die gewünschte Person am Hörer war.
Der Anrufer erklärte daraufhin, dass das große Finale anstände und man einigen wenigen ausgewählten Medienvertretern die Möglichkeit gebe, diesen entscheidenden Moment der Weltgeschichte hautnah mitzuerleben und exklusiv darüber zu berichten. Fragen beantwortete der Anrufer nicht. Er erklärte nur, man solle sich um 13 Uhr 30 vor dem Vatikan einfinden und die Kameras bereithalten. Und man solle den Petersplatz nicht betreten, sondern ein Stück außerhalb der Kolonnaden warten. Nein, mehr könne er nicht sagen, aber das sei auch nicht nötig. Um 13 Uhr 30 vor dem Petersplatz. Man würde schon sehen ...
In den Redaktionen hatte man kurz zuvor erfahren, dass die Ermittlungen der Polizei sich auf Castel Gandolfo konzentrierten, wo sich ein dramatisches Ende anzubahnen schien. Ein ganzes Heer an Reportern und Kamerateams war zur Sommerresidenz des Papstes unterwegs, so dass die Verantwortlichen dem Anrufer kein Wort glaubten. Wie alle aufsehenerregenden Verbrechen, so zog auch dieses offenbar verrückte Trittbrettfahrer an.
Nur einer der Chefredakteure wollte in der Sache zumindest einen kurzen Anruf tätigen, um damit sein schlechtes Gewissen zu beruhigen.
12 Uhr 10. Rom. Via Appia Nuova
67
Wütend warf Matthias das Handy auf die Mittelkonsole. Nach zwei vergeblichen Versuchen, Bertoni zu erreichen, hatte er es, einem spontanen Gedanken folgend, mit der Nummer des Kardinals versucht, was natürlich ebenso erfolglos geblieben war. Daraufhin hatte er es ausgeschaltet, damit Varotto keine Möglichkeithatte, ihn anzurufen und eine Erklärung zu verlangen.
Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit raste er zurück nach Rom. Alle ein bis zwei Minuten blickte er auf das Display des Radios. 45 Minuten hatte Voigt gesagt. Wenn nichts Unvorhergesehenes geschah, würde er das schaffen.
Voigt. Welchen Grund konnte ein Mann wie Siegfried Voigt haben, diese fürchterlichen Verbrechen zu begehen? Die Gier nach Macht konnte es kaum sein. Voigt war als Präfekt der Glaubenskongregation längst einer der wichtigsten und auch mächtigsten Männer der Römischen Kurie. Weder diese Morde noch die Entführung des Heiligen Vaters konnten dazu dienen, mehr Macht zu bekommen. Oder war es vielleicht schlicht und ergreifend Geld, hinter dem Voigt her war? Die finanziellen Mittel der katholischen Kirche waren so unermesslich, dass ein Erpresser praktisch jede Summe fordern konnte. Warum aber hatte Voigt dann keinerlei Forderungen gestellt außer der, dass er, Matthias, alleine nach Rom zurückkommen soll? Und warum hatte er bei der Frage nach den noch lebenden jungen Männern so lange gezögert und offensichtlich für mehrere Sekunden den Hörer zugehalten? Hatte Voigt seine Antwort darauf von jemandem erhalten, der bei ihm gewesen war? Warum aber hatte er selbst keine Ahnung, wo die Männern waren? Wenn Voigt tatsächlich zu den Verbrechern gehörte, konnte Matthias ihn sich in keiner anderen Rolle als in der des Oberhaupts der Bande vorstellen. Doch ein Anführer, der nicht wusste, was mit den Männern war, die eine Hauptrolle in seiner makabren Inszenierung spielten? Wie so oft in den letzten Tagen musste Matthias feststellen, dass das
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