Castello Christo
zurückzukehren. Ein so kategorisches Nein hatte er jedoch nicht erwartet.
Einige Sekunden lang standen die Männer sich stumm gegenüber, dann riss sich der Kardinal zusammen.
»Bitte, Matthias, denken Sie noch einmal in Ruhe darüber nach. Der Justizminister ist fest davon überzeugt, dass dies die Gelegenheit ist, Ihren und unseren Teil der damaligen Abmachung zu erfüllen. Man wird Ihnen eine Menge Schwierigkeiten bereiten, wenn Sie sich weigern. Vergessen Sie nicht, dass man Ihren Fall jederzeit wieder aufrollen kann . . .«
Matthias antwortete nicht, wandte nur mit ausdrucksloser Miene den Kopf in Richtung Flur, so dass dem Kardinal nichts anderes übrigblieb, als zu gehen.
Kaum hatte sich die Tür hinter Voigt geschlossen, ließ der Deutsche mit den langen blonden Haaren sich langsam auf den Stuhl sinken, legte die Unterarme auf den Tisch und vergrub sein Gesicht darin.
Eine Viertelstunde später wurde nach einem kurzen Klopfen die Tür zur Zelle erneut aufgerissen. Verwirrt blickte Matthias auf.
Hatte Siegfried Kardinal Voigt kurz zuvor noch die Contenance gewahrt, so trat er nun hektisch an den Deutschen heran und packte ihn an der Schulter.
»Es ist etwas geschehen, das Ihre Entscheidung ändern wird. Diese schreckliche Mordserie hat eine neue, ungeahnte Dimension angenommen.«
Noch immer sah Matthias den Kardinal stumm und regungslos an. Aus Voigt sprudelte es jetzt nur so heraus: »Ich hatte gerade ein längeres Gespräch mit dem Justizminister. Es ist ein weiteres Opfer entdeckt worden. Diesmal ist es die vierte Station. Eine Witwe hat ihren Sohn tot aufgefunden. Bei sich im Wohnzimmer.« Der Kardinal beugte sich nach vorn, so dass ihrer beider Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. »Er hat die gleiche Tätowierung wie alle bisherigen Opfer. Und er ist als Kind entführt worden ... vor zwanzig Jahren ... er war damals acht.«
Stille. Nur der Atem der beiden Männer war zu hören. Bis Matthias nach einer halben Ewigkeit murmelte: »Acht. So alt wie mein kleiner Bruder Franz, als . . .«
Als sein Mobiltelefon auf der Rückfahrt zum Flughafen wieder ein Netz anzeigte, führte Siegfried Kardinal Voigt ein Telefonat, das nur aus zwei Sätzen bestand.
»Er wird kommen. Gebe Gott, dass wir das Richtige tun.«
Rom. Via Aurelia
12
Daniele Varotto rieb sich zum wiederholten Male die brennenden Augen. Regen klatschte gegen die Windschutzscheibe. Die Nacht war schon voreiniger Zeit hereingebrochen, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich ins Bett zu kommen. Entgegen der Anweisung seines Chefs hatte er doch noch längere Zeit an seinem Schreibtisch im Präsidium verbracht, weil er sich nach dem Tippen des Berichts noch eingehend mit der Akte über den entführten Jungen beschäftigt hatte. Allerdings war die Mühe umsonst gewesen: Auch nach dem dritten Durchlesen hatte er nichts entdeckt, das ihm weitergeholfen hätte. Zwanzig Jahre war das her, dass Stefano vom Spielen nicht nach Hause gekommen war. Es war ein Wochenende gewesen, die Eltern waren mit ihm aufs Land zur Großmutter gefahren, und der Junge war losgezogen, um sich mit Freunden in einem nahe gelegenen Wäldchen zu treffen. Er war dort nie angekommen. Der Akte nach zu schließen, hatten die Kollegen damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um den Kleinen zu finden, doch war es wie verhext gewesen: Niemand hatte irgendetwas beobachtet, es gab keine einzige heiße Spur, Stefano war wie vom Erdboden verschluckt gewesen.
Die Pfützen spiegelten die grellen Lichter der entgegenkommenden Fahrzeuge wider. Zum Glück hatte er das Zentrum bereits hinter sich gelassen und fuhr jetzt die Via Aurelia Richtung Westen. Drei Jahre zuvor hatten sie sich in der Via Michele Pironti im dritten Stock eines liebevoll restaurierten Hauses aus dem 18. Jahrhundert eine Eigentumswohnung gekauft, woraufhin seine kunstsinnige Francesca ein halbes Jahr lang Galerien, Antiquitätenläden und Flohmärkte nach Vasen, Bildern, Skulpturen und alten Uhren abgeklappert hatte, mit denen sie dann die Wohnung dekorierte. Fünf Monate nach Francescas Tod, als er dank Dottore Parellas Hilfe seine Umwelt allmählich wieder zu registrieren begann, hatte er die Wohnung verkaufen wollen. Als aber die ersten Interessenten an derTür geklingelt hatten, konnte er sie nicht hereinlassen. Er hatte plötzlich das deutliche Gefühl gehabt, Francescas Andenken zu beschmutzen, wenn ihr Heim in fremde Hände überging. Er dachte an das
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