Castello Christo
Allmächtige stellt sich nämlich taub, wenn man ihn am Nötigsten braucht.«
Commissario Capo Pasquale Barberi zog die Stirn in Falten. »Daniele, ich kann ja verstehen, dass du nach dem schrecklichen Unglück mit deiner Frau den Glauben an Gottes Güte verloren hast und in deiner tiefen Verzweiflung über Francescas Tod seine Stellvertreter auf Erden gleich mitverdammst. Aber hier geht es nicht um deine Befindlichkeiten, sondern um eine ungeheuerliche Mordserie! Bis jetzt können wir noch rein gar nichts vorweisen. Wir hetzen nur von einem Tatort zum nächsten, und der Täter dreht uns eine lange Nase. Da sollte uns jede Unterstützung recht sein, von welcher Seite sie auch immer kommt.« Barberis Stimme war mit jedem Satz schärfer geworden. Jetzt beugte er sich nach vorn. »Dottore Parella hat dich vor zwei Monaten arbeitsfähig geschrieben, Daniele.Benimm dich gefälligst auch so. Sonst muss ich dir den Fall entziehen.«
Stumm maßen sie sich mit Blicken, bis Varotto klein beigab und sich wieder hinsetzte. »Tut mir leid, Barberi. Es ist nur . . .«
»Es ist eine Anweisung von ganz oben, Daniele. Darüber lässt sich nicht diskutieren.« Barberi blickte auf das Blatt mit den Notizen, die er sich gemacht hatte. »Der Mann ist im Übrigen kein Priester. Eher so eine Art Laienbruder. Er lebt in einem Kloster am Ätna und scheint eine Koryphäe zu sein, was Sekten und religiöse Geheimbünde angeht. Und nach dem, was du mir heute Mittag über die vierte und fünfte Station berichtet hast, können wir so einen Experten gut gebrauchen.« Der Commissario Capo senkte die Stimme. »Allerdings gibt es da einiges, worauf ich mir keinen Reim machen kann: Ihm werden sowohl vom Vatikan als auch von unserem obersten Chef alle nur denkbaren Vollmachten erteilt, ja er soll sogar einen Dienstausweis bekommen. Und noch sonderbarer ist, dass der Questore mich gebeten hat, dass wir ihn genau im Auge behalten und sofort melden, wenn uns irgendwas komisch vorkommt.«
»Wenn einer auf die ›Hilfe‹ von dem da oben setzt, kommt er mir von vornherein komisch vor«, knurrte Varotto.
Barberi sah ihn warnend an. »Daniele! Schreib deinen Bericht und dann fahr nach Hause und schlaf dich aus. Du bist total übermüdet und kannst nicht mehr klar denken. Morgen früh sehen wir weiter.«
Varotto nickte wortlos und stand auf. Er war schon an der Tür, als die Stimme seines Chefs ihn noch einmal innehalten ließ.
»Nimm ihn mit, Daniele. Lass ihn sehen, was du siehst,und lass ihn seine Bücher wälzen. Vielleicht findet er ja etwas, das uns weiterhilft, wir haben es weiß Gott nötig. Das Leben von mehreren Menschen steht auf dem Spiel.«
Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ Commissario Daniele Varotto den Raum.
Sizilien
11
Langsam ließ Matthias den Brief, der dem Sekretär der päpstlichen Bibelkommission am Morgen übergeben worden war, auf den Stapel Zeitungen sinken, die der Kardinal ihm ebenfalls mitgebracht hatte.
»Jesaja, Kapitel 53«, murmelte er. »Der letzte Vers. Die Weissagung über die Kreuzigung Jesu . . .«
In sich zusammengesunken saß er mehrere Minuten da und schien angestrengt nachzudenken, bis er den Oberkörper aufrichtete und dem Kardinal in die Augen blickte.
»Fassen wir zusammen: In Rom passieren mehrere Morde. So wie die Leichen in Szene gesetzt sind, inszeniert der Täter mit ihnen Stationen des Leidensweges unseres Herrn. Gleichzeitig erhält der Vatikan diesen Brief mit Jesajas Weissagung über den Tod Christi. Damit ist klar, dass der Täter mit den Opfern den gesamten Kreuzweg nachzustellen gedenkt. So weit, so gut. Doch wieso soll da eine obskure Bruderschaft dahinterstecken? Meiner Ansicht nach ist hier ein Geistesgestörter am Werk, der in dem Wahn lebt, er müsse Jesus Christus noch einmal töten. Ein wie auch immer gearteter religiöser Geheimbund verfolgt weitreichendere Ziele. Und zudem bringt er nicht seine eigenen Mitglieder um.« Er stand auf und ging die zwei Schritte bis zur Tür. »Eure Eminenz, Siebrauchen keinen Experten für Sekten, sondern einen Profiler.«
Auch Voigt erhob sich. Er hatte alle Mühe, seine würdevolle Haltung zu bewahren. »Soll das heißen ... Sie kommen nicht mit?«
Matthias hatte bereits die Klinke hinuntergedrückt und hielt ihm nun die Tür auf.
»Eure Eminenz, es tut mir leid, dass Sie den Weg hierher umsonst gemacht haben.«
Voigt war perplex. Er hatte damit gerechnet, dass Matthias zögern würde, nach all den Jahren im Kloster in die Welt
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