Castello Christo
wäre. Aber bitte, gehen wir doch hinein.«
Während Voigt neben dem Abt das Hauptgebäude betrat, spürte er, wie sich seine Nerven wieder anspannten. Kurz bevor er sich in seiner schwarzen Privatlimousine zum Flughafen hatte fahren lassen, hatte sich der Anrufer vom Morgen noch einmal gemeldet und vom Fund zweier weiterer Leichen erzählt. Es führte kein Weg daran vorbei:
Er
musste die schützenden Klostermauern verlassen.
»Wie hat er auf unsere Bitte reagiert?«, fragte er hastig.
Der Abt ging erst langsamer und blieb schließlich stehen. Mit ernstem Blick sah er den Kardinal an.
»Eure Eminenz, Matthias lebt nun seit vier Jahren hier und hat sich gut in die Gemeinschaft integriert. Er ist ein stiller und sehr hilfsbereiter Mensch, der sein Wissen gern weitergibt und dem keine körperliche Arbeit zu schwer ist. Während dieser ganzen Zeit hat er kein einziges Mal mit einem von uns über seine Vergangenheit gesprochen. Wir haben das respektiert. Seine Kindheit, soweit ich sie aus Bischof Corsettis Berichten kenne, muss ein wahrer Alptraum gewesen sein, von Anfang an ausgerichtet auf blinden Gehorsam. Wie Sie wissen, ist sein kleiner Bruder Franz daran zugrunde gegangen. Sein Tod hat etwas in Matthias’ Seele für immer zerstört.« Der Abt zögerte einen Augenblick, bevor er weitersprach, und blickte dem Kardinal dabei fest in die Augen. »Und nun soll er von einem Tag auf den anderen wieder an seine Vergangenheit erinnert werden, unter die er vor vier Jahren einen Strich gezogen hat. Verzeihen Sie meine Offenheit, Eure Eminenz, aber das ist unbarmherzig.«
»Soll das heißen, Sie haben ihm noch nichts von den Kreuzwegmorden erzählt?«, fragte Kardinal Voigt überrascht.
Noch immer sah der Abt ihn durchbohrend an. »Nein, das habe ich nicht, Eure Eminenz. Aber ich denke, das ist auch nicht nötig. Ihr Kommen spricht für sich. Seit er erfahren hat, dass Sie uns einen Besuch abstatten, sitzt er in seiner Zelle und meditiert.«
Sie betraten nun einen langen Gang, dessen Wände beige verputzt waren. Zwischen den schweren Holztüren zu beiden Seiten hingen Bilder mit biblischen Szenen. Sie gingen an sieben oder acht der Türen vorbei, bis der Abt stehenblieb.
»Hier ist es, Eure Eminenz.«
Als der Kardinal die Hand hob, um zu klopfen, drehte sich Pater Emilio mit einem undefinierbaren Blick um und ging davon.
Der Mann saß mit dem Rücken zur Tür auf dem Steinboden vor seinem Bett, das die Zelle in ihrer ganzen Breite ausfüllte. Der flackernde Schein zweier Kerzen, die eine in einem schweren Eisenhalter an der Wand, die andere auf einer Kommode gegenüber, ließ unruhige Schatten über die Wände huschen.
Er hielt den Kopf gesenkt, seine langen blonden Haare fielen ihm über die Schultern. Er drehte sich nicht um, als der Kardinal den nur wenige Quadratmeter großen Raum betrat, rührte sich auch nicht, als Voigt ihn auf Deutsch ansprach: »Guten Tag, Matthias. Es ist mir eine Freude, Sie wiederzusehen.«
Mehrere Sekunden vergingen, dehnten sich in der Stille zu Ewigkeiten, bis der Mann sich endlich erhob und dem Kardinal zuwandte. Er sah ihm in die Augen und antwortete in fast akzentfreiem Italienisch: »
Un piacere?
Ihr Besuch hier bedeutet doch wohl, dass etwas Schlimmes geschehen ist.«
Wohlgefällig musterte Voigt den großen schlanken Mann. Er hatte sich verändert. Das markant geschnittene Gesicht des mittlerweile 4 7-Jährigen wirkte weicher, nicht mehr so verbissen wie damals, als er ihn zum letzten Mal gesehen hatte, und der Hass in den Tiefen seiner Augen fehlte gänzlich. Der Kardinal stellte verwundert fest, dass der Mann ihm inzwischen irgendwie sympathisch war, und das, obwohl er vier Jahre zuvor etwas so Ungeheuerliches getan hatte.
»Ja, das ist leider richtig, Herr von . . .«, er räusperte sich, »Matthias. Wir hätten uns eigentlich gewünscht,dass Ihre ... Hilfe nie wieder vonnöten sein wird.« Auch Voigt sprach nun italienisch.
Matthias deutete auf einen einfachen Stuhl, der neben einem kleinen Tisch an der Wand stand. »Bitte, Eure Eminenz.« Er wartete, bis der Kardinal Platz genommen hatte, bevor er sich auf der Kante seines Bettes niederließ und sagte: »Erzählen Sie.«
Rom. Questura, Via San Vitale 15
10
»Ein Pfaffe?« Varotto sprang auf und sah seinen Vorgesetzten wütend an. »Was zum Teufel soll ich mit einem Priester anfangen? Soll er Gott anflehen, dass er uns auf die richtige Spur führt? Falls es Ihnen entgangen sein sollte: Der hilft niemandem! Der
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