Castello Christo
über ihnen ballten sich schon wieder dunkelgraue Wolken zusammen, aus denen bereits erste Tropfen fielen. Die jungen Männer fröstelten. Zwar waren sie nun schon einige Wochen hier, aber an das Klima hatten sie sich noch immer nicht gewöhnt; es war deutlich unangenehmer als in dem heißen Land, wo sie fast ihr gesamtes bisheriges Leben verbracht hatten. Stumm sahen sie hinüber zum einstigen Haupthaus. Nicht alle waren anwesend; einige von ihnen waren schon vorausgegangen. Bald würden sie alle in der Ewigen Stadt sein. Bald, sehr bald ...
Die große Tür des Hauptgebäudes öffnete sich nun, undheraus trat der Mann, den sie von Anfang an Monsignore genannt hatten, weil er ihr
abbas
war
,
das Oberhaupt ihrer Gemeinschaft. Mit schnellen Schritten ging er auf sie zu und blieb dann gütig lächelnd vor ihnen stehen.
»Unsere Mission strebt ihrem Ende entgegen«, sagte er so laut, dass er auch in der hintersten Reihe noch verstanden wurde. »Ein paar Mitbrüder habe ich schon vor Tagen ausgeschickt, um den großen Tag vorzubereiten. Sie sind die ersten Glücklichen, die ihr Lebensziel erreicht haben.«
Wenn seine Worte die jungen Männer in irgendeiner Weise berührten, so zeigten sie es nicht. Ohne die geringste Veränderung in den ernsten Gesichtern blickten sie weiter zu ihm auf.
Eindringlich sah der Monsignore nun einen nach dem anderen an.
»Und auch euer Leben geht seiner Erfüllung entgegen. Haltet euch bereit!«
Mit diesen Worten drehte er sich um. Die Männer in den braunen Mönchskutten rührten sich nicht, bis er wieder in dem Haupthaus verschwunden war. Der Regen war inzwischen stärker geworden, und ihre langen blonden Haare klebten ihnen im Gesicht, aber das nahmen sie nicht wahr. Erst als ihre Führer, die hinter ihnen gestanden hatten, sich in Bewegung setzten, erhoben sie sich vom Boden und marschierten im Gleichschritt zurück zu den ehemaligen Stallungen, die Treppe hinunter in die Kellerräume.
Rom. Via Michele Pironti
15
Varotto schreckte hoch und erstarrte mitten in der Bewegung. Wo war er? Die Orientierungslosigkeit dauerte jedoch nur einen kurzen Moment. Erleichtert sank er in die Kissen zurück. Er befand sich in seinem Bett. Über die Laken hinweg blickte er auf den Kleiderschrank, über den kleine, verschwommene Rechtecke aus Licht huschten. Durch das gekippte Fenster wehte ein sanftes Lüftchen herein, das die grob gemusterten Vorhänge leicht hin und her bewegte. Offenbar hatte der Regen endlich aufgehört. Er reckte und streckte sich und warf dann einen Blick auf den alten Wecker auf seinem Nachttisch, ein Flohmarktgeschenk von Francesca. Es war kurz vor neun. Wann hatte er zum letzten Mal so lange und so tief geschlafen?
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Fluchend schwang Varotto die Beine aus dem Bett und öffnete.
»Du?«, stieß er überrascht aus, als er die Frau erkannte.
Alicia Egostina breitete die Arme aus. »Ja, Daniele, ich. Einen guten Morgen wünsche ich dir. Darf ich reinkommen, oder lässt du alte Freunde neuerdings vor der Tür stehen?«
Noch immer sprachlos trat er zur Seite, damit sie an ihm vorbeikonnte. Lächelnd küsste sie ihn auf beide Wangen.
»Schön, dich zu sehen, Daniele, wenn auch zu einer offensichtlich unpassenden Zeit«, sagte sie mit einem verschmitzten Blick auf seinen nackten Oberkörper und die Schlafanzughose.
Varotto sah an sich herunter und kratzte sich verlegen den Kopf. »Ich bin die letzten Tage immer furchtbar spät ins Bett gekommen. Ich zieh mir schnell etwas an. Bin gespannt, was dich so früh zu mir führt.«
Als er knapp fünf Minuten später in die geräumige, modern eingerichtete Küche kam, gurgelte die große Espressomaschine gerade Kaffee in die Tassen. Alicia saß auf einem der hohen, lederbezogenen Barhocker, die um eine Theke gruppiert waren, an der Francesca und er sich abends bei einem Glas Wein immer die Ereignisse des Tages erzählt hatten. Vor sich hatte sie einen Aschenbecher stehen, in dem sie nun ihre Zigarette ausdrückte.
»Du kennst dich hier noch gut aus«, sagte er und deutete missbilligend auf die Kippe. »Du weißt, dass ich das hasse.«
»Ah, ich erkenne den alten Daniele wieder!«, entgegnete sie grinsend. »Und du weißt, dass ich es liebe, also sei nett und gönn mir mein kleines Laster. Der Aschenbecher stand übrigens noch an derselben Stelle, an der er immer gestanden hat.«
Wortlos holte er die zwei Tassen mit dem dampfenden Espresso und setzte sich auf den Hocker ihr
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