Castello Christo
Nazionale einfädelte, erzählte Matthias ihr von seinem zweiten Besuch bei der Sonderkommission an diesem Vormittag.
»Sie glauben also«, sagte sie, als Matthias geendet hatte, »dass das Geburtsdatum eine besondere Bedeutung hat?«
»Wäre der Tote mit dem Muttermal am gleichen Tag, aber nicht im selben Jahr geboren, käme es vielleicht nur auf den Tag und Monat an«, antwortete er, »so aber ... Alicia, irgendwas sagt mir, dass sich alles um genau diesen Tag im Jahr 1981 drehen muss.«
Sie nickte, warf einen Blick in den Rückspiegel und bog dann so abrupt in eine kleine Seitenstraße ein, dass Matthias mit dem Kopf gegen die Seitenscheibe knallte. Es kam jedoch kein Fluch über seine Lippen.
»Wo fahren Sie hin, Alicia?«, wollte er nur wissen.
Die Journalistin wunderte sich einmal mehr darüber, dass es offenbar nichts gab, was diesen Mann aus der Ruhe brachte.
»Ich verspreche Ihnen«, sagte sie in einem Ton, der bestimmend klang, »wenn ich falsch liege, bringe ich Sie in die Vatikanische Bibliothek und bleibe mit Ihnen so langedort, bis wir etwas gefunden haben. Aber begleiten Sie mich bitte zuerst in die Redaktion.«
»In die Redaktion? Warum?«
»Weil der 4. März 1981 gerade mal gute 24 Jahre her ist. Und was damals war, erfährt man nicht aus den staubigen Büchern der Vatikanbibliothek, sondern aus dem Archiv einer Tageszeitung.«
Matthias’ Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Gut, also dann in die Redaktion«, sagte er und blickte sie anerkennend an. »Das ist eine gute Idee.«
Dann richtete er den Blick wieder nach vorne, und noch während er den Kopf drehte, verschwand jede Spur dieses Lächelns aus seinen Zügen. Der oder die Täter hatten zwei Jungen, die am gleichen Tag geboren worden waren, entführt und zig Jahre später dann getötet. Warum? Er hätte nicht erklären können, wie die Assoziation zustande kam, aber vor seinem geistigen Auge tauchte auf einmal eine der Schlüsselstellen des Neuen Testaments auf. Matthäus 2,16: »Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.«
Die beiden Jungen waren zwar bei ihrer Entführung älter als zwei gewesen, aber Matthias hatte sich angewöhnt, solche Eingebungen ernst zu nehmen. Da sie in diesem Moment aber auf den Parkplatz des Zeitungsverlags einbogen, kam er nicht dazu, gründlich darüber nachzudenken.
Es sollte lange dauern, bis er wieder die Ruhe dazu haben würde.
Rom. Redaktionsgebäude des ›Il Cortanero‹
30
In dem Großraumbüro, das sie durchquerten, arbeiteten etwa fünfzig bis sechzig Journalisten. Mehrere Frauen streckten ihre Köpfe hinter den Computerbildschirmen oder Grünpflanzen hervor, um einen Blick auf Alicias Begleiter mit den auffallend hellen langen Haaren zu erhaschen. Einige dieser Köpfe wurden Sekunden später tuschelnd zusammengesteckt.
Für Matthias, der sich in den vergangenen vier Jahren an die Ruhe des Klosters gewöhnt hatte, war der Großstadtlärm schon nicht einfach zu ertragen, Räume wie dieser jedoch riefen bei ihm ein fast körperliches Unbehagen hervor. Zum Glück ging es am Ende des großen Büros durch eine Doppeltür, die einen Großteil der Geräusche dämmte, als sie hinter ihnen zuklappte. Sie wandten sich nach rechts, und Matthias folgte der Journalistin weiter durch einen langen Flur mit hellgrau gelackten Türen. Ihre Schritte wurden von dem dichten Flor des dunkelgrauen Teppichs fast komplett geschluckt. Die Augen auf dessen dezentes Muster gerichtet, wäre Matthias um ein Haar gegen Alicias Rücken geprallt, als sie schließlich vor einer der Türen stehen blieb und sie öffnete.
»Unser Archiv«, erklärte sie. »Hier kann man die Ereignisse eines jeden Tages der letzten achtzig Jahre nachlesen. In einer Viertelstunde wissen wir mehr.«
Der Raum sah völlig anders aus, als Matthias sich ein Zeitungsarchiv vorgestellt hatte. Er hatte ein muffiges Kabuff mit bis zur Decke reichenden, mit Aktenordnern vollgestopften Regalen erwartet, betrat nun aber einen hellen Raum, der mit ein paar modernen, hüfthohen Möbeln aus Ahornholz und zwei Computertischen eingerichtet war.
Etwas verwirrt sah er Alicia an. »Das ist Ihr
Archiv? «
Sie ließ den Blick durch den Raum wandern, als versuchte sie, darin etwas zu entdecken, was ihr bisher verborgen geblieben
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