Catch 22
vergleichen läßt. Ich glaube nicht, daß die genaue Uhrzeit geheim gehalten werden muß. Wir werden Ihnen im Zeitplan anderthalb Minuten zubilligen. Kommen Sie mit anderthalb Minuten aus?«
»Jawohl, Sir. Falls darin nicht die Zeit enthalten ist, die vergeht, während die Atheisten aus dem Zelt gehen und die Unteroffiziere hereinkommen.«
Colonel Cathcart blieb erstarrt stehen. »Was für Atheisten?«
bellte er abwehrend, und seine ganze Erscheinung verwandelte sich in Sekundenschnelle in die Verkörperung tugendhafter, kriegsbereiter Empörung. »In meiner Einheit gibt es keine Atheisten. Atheismus ist doch gesetzwidrig, oder nicht?«
»Nein, Sir.«
»Nicht?« Der Colonel war überrascht. »Dann ist er aber unamerikanisch, oder?«
»Da bin ich nicht ganz sicher, Sir«, erwiderte der Kaplan.
»Aber ich!« verkündete der Colonel. »Und ich werde unseren Gottesdienst nicht stören, bloß um einer Bande lausiger Atheisten willen! Ich räume ihnen keine Vorrechte ein. Die sollen gefälligst bleiben, wo sie sind, und mit uns zusammen beten. Und was höre ich da von Unteroffizieren? Wie, zum Teufel, kommen die überhaupt in diese Vorstellung hinein?«
Der Kaplan fühlte sich erröten. »Verzeihen Sie, Sir. Ich nahm an, daß Sie die Anwesenheit der Unteroffiziere wünschten, soweit die ebenfalls am Einsatz teilnehmen.«
»Ich wünsche das nicht. Die haben schließlich einen eigenen Gott und einen eigenen Kaplan, nicht wahr?«
»Nein, Sir.«
»Was wollen Sie damit sagen? Wollen Sie sagen, Unteroffiziere und Mannschaften beten zu dem gleichen Gott wie wir?«
»Jawohl, Sir.«
»Und er hört z«?«
»Ich glaube schon, Sir.«
»Na, da soll mich doch der Schlag treffen«, bemerkte der Colonel und schnaufte belustigt vor sich hin. Gleich darauf sank seine Stimmung jedoch, und er fuhr nervös mit der Hand über die kurzen, schwarzen, ergrauenden Locken. »Halten Sie es wirklich für einen guten Gedanken, die Unteroffiziere zuzulassen?« fragte er besorgt.
»Ich halte das für geboten, Sir.«
»Ich möchte sie gerne draußen halten«, sagte der Colonel vertraulich und ließ laut die Fingerknöchel knacken, während er auf und ab ging. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Kaplan. Es ist nicht etwa so, daß ich Mannschaften und Unteroffiziere für schmutzig, ordinär und minderwertig halte. Es ist nur einfach so, daß wir nicht genug Platz haben. Offen gestanden liegt mir aber auch nichts daran, daß Offiziere und Mannschaften sich im Unterrichtsraum verbrüdern. Mir scheint, daß sie schon Während der Einsätze genügend lange beisammen sind. Einige meiner besten Freunde sind Unteroffiziere, aber weiter möchte ich mich mit ihnen auch nicht einlassen. Sagen Sie mal ehrlich, Kaplan: wäre es Ihnen recht, wenn Ihre Schwester sich mit einem Urteroffizier verheiratete?«
»Meine Schwester ist Unteroffizier«, erwiderte der Kaplan.
Der Colonel blieb wieder stocksteif stehen und sah den Kaplan scharf an, um zu sehen, ob der sich etwa über ihn lustig mache.
»Was, bitte, wollen Sie mit dieser Bemerkung sagen, Kaplan?
Versuchen Sie hier, Witze zu machen?«
»Oh nein, Sir«, beeilte der Kaplan sich zu erläutern, und sah dabei außerordentlich unbehaglich drein. »Sie ist Marinehelferin im Range eines Feldwebels.«
Der Colonel hatte den Kaplan nie leiden können, jetzt aber verabscheute er ihn und mißtraute ihm. Er witterte Gefahr und fragte sich, ob auch der Kaplan Ränke gegen ihn schmiede, ob das zurückhaltende, unauffällige Wesen des Kaplans nicht eine unheimliche Maske sei, unter der sich ein brennender Ehrgeiz verberge, der im tiefsten raffiniert und bedenkenlos sei. Der Kaplan wirkte irgendwie merkwürdig, und der Colonel erkannte denn auch bald, woran das lag. Der Kaplan stand steif aufgerichtet in Achtungstellung, denn der Colonel hatte vergessen, »Rühren« zu befehlen. Soll er doch so stehen bleiben, beschloß der Colonel rachsüchtig. Der Kaplan sollte merken, wer der Chef war, und auf diese Weise riskierte der Colonel nicht, das Gesicht zu verlieren, indem er seine Unterlassung eingestand.
Colonel Cathcart fühlte sich unwiderstehlich zum Fenster hingezogen, und ein dumpfer, schwerer Ausdruck trübsinniger Selbsterforschung trat in seine Augen. Er entschied bei sich, daß Mannschaften stets falschherzig sind. Er blickte düster und traurig auf den Tontaubenschießstand hinunter, den er für die Offiziere seines Stabes hatte anlegen lassen, und erinnerte sich jenes peinlichen Nachmittages, als
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