Cathérine de Montsalvy
Trauer, doch Yolandes Kleidung war aus Samt und Seide, während Cathérine sich nur feine Wolle erlaubt und ihren blonden Kopf in einen Trauerflor gehüllt hatte. Je mehr sie sich dem Thron näherten, desto mehr schnürte ihr die Feierlichkeit des Augenblicks das Herz zusammen. Die dürftige Gestalt des Königs in dunkelblauem, diskret mit Gold verziertem Samtgewand wuchs und wuchs, und Cathérine dachte schmerzlich, daß die freundschaftliche Hand, die sie führte, die Arnauds hätte sein müssen. Ohne das verfluchte Leiden wären sie diese Triumphstraße zusammen entlanggeschritten und bestimmt nicht in Trauerkleidung. Ihm, ihrer verlorenen Liebe, widmete sie diese Minute, denn ihm gehörte sie. In den Tiefen ihrer Erinnerung sah sie ihn wieder wie eine vom Blitz gefällte Eiche vor den Trümmern seines zerstörten Heims, das auf Befehl dieses selben Königs in Brand gesteckt worden war, der sie jetzt erwartete. Sie glaubte, das Schluchzen dieses starken und heldenmütigen Mannes noch zu hören, und mußte die Augen schließen, um ihre Tränen zurückzuhalten.
Doch plötzlich, aus ihren qualvollen Träumen gerissen, wurde ihr die unglaubliche Ehre bewußt, die Yolande ihr erwies, denn auf ihrem Wege verneigten sich die Herren und Damen oder beugten das Knie, und die der Königin dargebrachte Huldigung strahlte auch auf ihre junge Begleiterin aus. Sie sah, wie selbst Prinzen von königlichem Geblüt sich verbeugten, und als sie an den Stufen des Throns angelangt waren, erhob sich der König. Seine braunen, glanzlosen Augen richteten sich mit Interesse auf Cathérines Antlitz. Die junge Frau fühlte, daß sie errötete. So stiefmütterlich Karl VII. von der Natur auch behandelt worden war, strömten seine schwächliche Gestalt und sein unschönes Gesicht dennoch Majestät aus. Er war eben der König, jener König, dem man, wenn man Montsalvy hieß, uneingeschränkt sein Blut, sein Leben und sein Vermögen zu Füßen legte. Ohne den Blick zu senken, den sie fest auf den des Herrschers gerichtet hatte, beugte Cathérine langsam das Knie, während die Stimme der Königin Yolande sich erhob.
»Majestät, mein Sohn«, sagte sie, »möge es Eurer Gerechtigkeit und Eurem großmütigen Herzen gefallen, Cathérine, Gräfin de Montsalvy, Dame de là Châtaigneraie in Gnaden zu empfangen, die vor Euch kniet, um Eure Hilfe zu erflehen und um die Wiedergutmachung des vielfachen Unrechts und der grausamen Leiden zu bitten, die sie durch den ehemaligen Großkämmerer zu erdulden hatte.«
»Majestät«, fügte Cathérine sogleich mit Leidenschaftlichkeit hinzu, »ich fordere Gerechtigkeit für meinen in der Verzweiflung gestorbenen Gatten, für Arnaud de Montsalvy, der Euch stets treu diente, nicht für mich! Ich bin nur seine Frau!«
Der König lächelte, stieg zu der jungen Frau hinunter, nahm ihre beiden Hände, um ihr aufzuhelfen.
»Dame«, sagte er sanft, »eigentlich müßte der König zu Euren Füßen um Gnade bitten. Ich kenne all das Böse, das dem treuesten meiner Hauptleute zugefügt worden ist, und ich empfinde große Scham und großen Schmerz darüber. Heute kommt es darauf an, daß für Euch und Euren Sohn alles wieder wird wie früher und daß das Haus Montsalvy wieder hoch zu Ehren und zu Vermögen komme. Man rufe unseren Kanzler!«
Von neuem teilte sich die schillernde Menge, um Regnault de Chartres, Erzbischof von Reims und Kanzler von Frankreich, durchzulassen. Cathérine erkannte nicht wenig erstaunt den hochmütigen Prälaten, der einst ein Todfeind Jehanne d'Arcs gewesen war und sich zweifellos nur aus Vorsicht von La Trémoille losgesagt hatte. Instinktiv empfand sie eine Aversion gegen ihn, vielleicht seines hochmütigen Blicks und des berechnenden Zuges um seine Lippen wegen. Aber plötzlich fühlte sie, wie eine tiefe Röte ihre Wangen überzog. Einige Schritte hinter dem Kanzler ging ein Mann in staubbedeckter Kleidung und mit abgespannten Zügen: Pierre de Brézé. Er lächelte ihr zu, als er sie bemerkte, und Cathérine mußte, ob sie wollte oder nicht, das Lächeln zurückgeben. Aber sie hatte keine Zeit, sich Fragen zu stellen. Karl VII. wandte sich an Regnault de Chartres.
»Seigneur Kanzler, habt Ihr, was Messire de Brézé aus Montsalvy holen sollte?«
Statt einer Antwort streckte der Erzbischof die Hand aus, ohne Pierre anzusehen. Der junge Mann reichte ihm eine sichtlich beschmutzte, unansehnliche Pergamentrolle. Regnault de Chartres rollte das an allen vier Ecken durchlöcherte Pergament
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