Cathérine de Montsalvy
auf. Eine Blutwelle überflutete Cathérines Hals. Dieses Pergament, an den Rändern zerfetzt, beschmutzt, durchlöchert, halb vergilbt, kannte sie. Es war mit vier Pfeilen an die noch rauchenden Ruinen von Montsalvy geheftet worden; es war das Edikt, das Arnaud de Montsalvy zum Verräter an König und Königreich, zum Treubrüchigen und für immer Geächteten erklärte … Sie sah es zwischen den Fingern des Kanzlers zittern, wie sie es einst in Montsalvy im Abendwind hatte leise flattern sehen … Und dann geschah etwas: Ein in Rot gekleideter Mann trat vor, dem zwei Diener folgten, die einen mit glühenden Kohlen gefüllten eisernen Ofen trugen. Cathérine erkannte den Scharfrichter! Ihre Augen blickten verstört, während unkontrollierbare Angst sie befiel. Diese makabre rote Gestalt erinnerte sie an Vorkommnisse, die noch zu frisch und zu sehr mit Entsetzen geladen waren! Aber es war kein Mensch, den er hinrichten sollte.
Regnault de Chartres trat vor, die Pergamentrolle in den Händen. Seine Stimme durchdrang die Stille.
»Wir, Karl, der Siebente dieses Namens, durch die Gnade des allmächtigen Gottes König von Frankreich, befehlen, daß das Edikt, das den hochwohlgeborenen und hochedlen Seigneur Arnaud, Graf von Montsalvy, Seigneur de la Châtaigneraie im Lande der Auvergne, ebenso wie seine Nachkommen wegen Verrates mit dem Bann bestrafte, auf ewig hinfällig sei. Wir befehlen, daß besagtes Edikt als falsch, wahrheitswidrig und niederträchtig erklärt und an diesem heutigen Tage unter unseren Augen durch die Hand des Scharfrichters als Schandmal vernichtet werde …«
Der Kanzler zog eine Schere aus der Tasche, schnitt das abgenutzte rote Band ab, an dem das Große Staatssiegel Frankreichs hing, und reichte es dem König, nachdem er es respektvoll geküßt hatte. Dann übergab er die Pergamentrolle dem Scharfrichter. Dieser nahm sie mit einer Kneifzange und warf sie in den Ofen. Die feine Schafshaut krümmte sich, als sei sie mit einem eigenen Leben begabt, wurde dann schwarz und verbrannte mit einem unangenehmen Geruch, aber solange noch ein Stück davon übrigblieb, ließ Cathérine sie nicht aus den Augen. Erst als sie völlig von den Flammen verzehrt war, hob sie den Kopf und traf auf den Blick des Königs, der ihr zulächelte.
»Euer Platz ist bei uns, Cathérine de Montsalvy, bis Euer Sohn alt genug ist, um uns zu dienen. Seid in diesem Schloß willkommen, in dem Ihr heute abend Wohnung nehmen werdet. Morgen wird Euch unser Kanzler die Urkunden aushändigen, nach denen Euch Euer Vermögen und Eure herrschaftlichen Güter voll und ganz zurückgegeben werden. Dann wird unser Schatzkanzler Euch eine Summe Goldes auszahlen, die dazu bestimmt ist, Euch für das Unrecht, das Euch angetan worden ist, zu entschädigen. Leider kann das Gold nicht alles wiedergutmachen, und der König hat es nie zuvor so sehr bedauert.«
»Sire«, murmelte sie mit heiserer Stimme, »so Gott will, werden die Montsalvy fortfahren, Euch zu dienen, wie sie Euch immer gedient haben. Mein Dank an Euch sei mir verstattet, daß Ihr es ihnen von neuem vergönnt!«
»Geht nun und begrüßt Eure Königin. Sie erwartet Euch.«
Cathérine wandte sich zu Marie d'Anjou, die einige Schritte hinter ihr inmitten ihrer Hofdamen stand und ihr zulächelte. Spontan kniete sie zu Füßen dieser häßlichen und gütigen Frau nieder, die nicht wußte, was böse ist. Marie empfing Cathérine mit offenen Armen.
»Meine teure Cathérine«, sagte sie zu ihr, während sie sie umarmte, »ich bin so glücklich, Euch wiederzusehen! Ich rechne damit, daß Ihr Euren Platz unter meinen Damen wieder einnehmen werdet.«
»Eine gewisse Zeit, Madame … denn ich werde zu meinem Sohn zurückkehren müssen!«
»Das eilt nicht. Ihr werdet ihn holen lassen. Platz, meine Damen, für die Gräfin de Montsalvy, die zu uns zurückkehrt!«
Der Empfang, der Cathérine zuteil wurde, war schmeichelhaft. Sie kannte bereits einige unter ihnen und fand mit Freuden die hübsche Anne de Bueil, Dame von Chaumont, wieder, die sie in Angers getroffen hatte. Auch Jeanne du Mesnil sah sie, die sie noch von der Zeit her kannte, als sie Edeldame in Bourges gewesen war, und die Dame de Biosset; doch war sie bisher weder Madame de la Roche Guyon begegnet noch der Prinzessin Jeanne d'Orléans, der Tochter des lebenslänglichen Gefangenen von London. Sie war erstaunt, Marguerite de Culan nicht wiederzutreffen, die ihre Freundin gewesen war, und ein wenig bekümmert, als sie
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