Cathérine und die Zeit der Liebe
Pforte der Gerechtigkeit! Die Hand versinnbildlicht die fünf Gebote des Korans«, bedeutete ihr Morayma. »Und die Türme dort, nicht weit von hier, sind die Kerker.«
Mehr sagte sie nicht. Cathérine indessen wußte die Auskunft ihrem Wert gemäß zu schätzen. Sie ähnelte sehr einer Warnung, fast einer Drohung. Eine Drohung war auch diese kolossale, mit eisernen Bändern und riesigen Nägeln versehene zweiflügelige Pforte, die die Dunkelheit des tiefen Vorbaus durchbrach und von Reitern in schimmernden Harnischen unter purpurroten Burnussen, die Pickelhauben tief auf die grausamen Augen heruntergezogen, bewacht war. Wenn ein Befehl des Herrn den Ausgang verschloß, dürfte es unmöglich sein, durch diese dicken Mauern zu gelangen. Das rote Palais und auch die kleine Stadt, die diese Festungswälle umschlossen (man konnte jetzt Häuser, Mühlen und die sieben vergoldeten, von einem hohen, schlanken Minarett überragten Kuppeln einer imposanten Moschee unterscheiden), mußten sich wie eine Falle schließen können, die ihre Beute nicht so leicht wieder losließ … es sei denn, daß man die geheimnisvolle Pforte entdeckte, die Zobeidas Liebhaber einer Nacht benutzten. Aber war das womöglich nur eine Legende? Die in den Abflußgräben gefundenen Leichen konnten sehr wohl von den Türmen heruntergestürzt worden sein.
Die scharfen Augen Catherines schweiften schon suchend umher – ein Beweis, daß sie weniger ruhig war, als sie sich eingestehen wollte –, suchten einen geheimeren Ausgang aus diesem herrlichen, drohenden, lockenden und gleich einer giftigen Blume gefährlichen Palast. Indessen senkte sie die Augen, um die blutigen Köpfe nicht zu sehen, die unheilkündend auf in die Mauer eingelassene Eisendorne gespießt waren. Und in diesem Augenblick, in dem sie die Schwelle dieser unbekannten Welt überschritt, fühlte die junge Frau, wie sich ihr Herz zusammenschnürte. Sie rang nach Atem, biß die Zähne aufeinander, zwang sich, starr auf den gebeugten Rücken Moraymas unter ihren absurden grünen Blumen zu blicken. Sie durfte nicht kneifen … jetzt nicht mehr und besonders nicht wegen etwas so Verächtlichem wie animalischer Angst! Sie hatte diesen Augenblick zu sehnlichst gewollt …
Und da, irgendwo in den duftenden Büschen der noch nicht sichtbaren Gärten, sang wunderbarerweise eine Nachtigall, schmetterte zum weißglühenden Himmel einige Töne empor, die so rein waren wie ein Bergquell. Eine Nachtigall zu dieser Tagesstunde, mitten in dieser drückenden Hitze? …
Catherines schweres Herz wurde leichter. Sie sah darin eine glückliche Vorbedeutung, spornte ihr Maultier an und schloß sich Morayma an, die etwas vorausgeritten war.
Die jähe Kühle eines Durchgangs, eine Biegung, ein ansteigender, von der Sonne überfluteter Weg, dann, jenseits einer zweiten Biegung, die orientalische Grazie zweier hoher, rechtwinklig angeordneter Pforten.
Morayma, die auf Cathérine gewartet hatte, deutete auf die, die sich vor ihnen öffnete.
»Die Königliche Pforte. Sie öffnet sich auf den Serail, den Palast des Kalifen. Wir gehen jedoch durch jene da, die Pforte des Weins, um direkt über die Oberstadt, die Verwaltungsstadt der Alhambra, zum Harem zu gelangen.«
Als Catherines Blick aber auf der Mauer verweilte, die drei rote, sich zur Linken erhebende Türme miteinander verband, verzogen sich die Lippen der Alten zu einem leisen Lächeln.
»In diesen Teil wirst du nie gelangen. Es ist die Alkazaba, die Festung, welche die Alhambra uneinnehmbar macht. Sieh diesen riesigen Turm über der Schlucht da unten! Bewundere in ihm die Macht deines künftigen Herrn. Das ist der Ghafar, der innerste Kern unserer Verteidigung. Oft wirst du in der Nacht die Turmglocke läuten hören. Aber ängstige dich nicht, Licht des Morgens. Es bedeutet keine Gefahr, es ist nur ein Zeichen, das die Bewässerung der Ebene während der Nacht regelt … Und nun beeilen wir uns, die Hitze wird unerträglich, und ich will, daß du für die Augen des Herrn frisch aussiehst.«
Cathérine bebte. Offenbar würde man ihr nicht viel Zeit lassen, Atem zu holen, bevor man sie dem Kalifen vorführte. Jedoch, wie immer, war sie entschlossen, die Ereignisse auf sich zukommen zu lassen und sie zu ihrem Besten zu nutzen.
Kapitel 11
Das langgestreckte, in blauem und goldenem Mosaik gehaltene Schwimmbassin des Harems strömte einen schwülen, parfümierten Duft aus, als Cathérine, noch schlaftrunken, von Morayma in den Saal geschoben
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