Cathérine und die Zeit der Liebe
ging, aber die Furcht vor der Nachricht, daß Zobeida und infolgedessen auch Arnaud nach den fernen Ländern des Maghreb aufgebrochen seien, zerrte allmählich an ihrer Widerstandskraft und an ihren Nerven. Besonders die Nächte, in denen ihre wirre Phantasie sich ihrer Eifersucht bemächtigte, waren unerträglich, und Cathérine war bereits an dem Punkt angelangt, sich Hals über Kopf in die größte Dummheit zu stürzen, die ihr in den Sinn käme, als am Morgen des vierten Tages Marie-Aicha traditionsgemäß tief verschleiert, aber lächelnd gekommen war.
»Ich habe mir gedacht, daß du dich langweilst«, hatte sie zu der jungen Frau gesagt, den Schleier zurückschlagend, »und Morayma hat mir nur geringe Schwierigkeiten gemacht, dich hier aufzusuchen.«
»Haben die Eunuchen dich passieren lassen?«
»Warum denn nicht? Sie haben Befehl, dich am Ausgehen zu hindern, aber Besuche kannst du empfangen.«
Die Anwesenheit Maries tat Cathérine gut. Es war eine freundschaftliche Atmosphäre, und außerdem kam das junge Mädchen aus demselben Land wie sie: aus Burgund. Verblüfft hatte Cathérine, als sie sich ihre Geschichte anhörte, entdeckt, daß diese der ihren sehr ähnelte. Das hübsche junge Mädchen aus den Weinbergen von Beaune hatte das Pech gehabt, die Aufmerksamkeit eines Sergeanten Herzog Philippes zu erregen. Dieser Mann, der sich der Gunst seines Herrn erfreute, hatte verlangt, daß Marie Vermeil ihm angetraut werde, und in das Häuschen von Beaune war der Befehl geflattert, die Hochzeit vorzubereiten. Marie hätte die Sache vielleicht mit philosophischem Gleichmut hingenommen, denn der Sergeant Colas Laigneau war ein ganz hübscher Junge, wenn sie nicht seit langem schon in ihren Vetter Jehan Goriot verliebt gewesen wäre, dem sie Treue und Liebe geschworen hatte.
Jehan war ein ziemlich übles Subjekt, immer knapp an Geld, aber nie knapp an Mädchen und von fabelhaften Abenteuern träumend. Er war nicht auf den Mund gefallen, hatte eine blühende Phantasie, und Marie wurde durch seine Nähe angeregt. Trotz seiner zahlreichen Treulosigkeiten betete sie ihn an, so wie er war, und als ihr der Befehl des Herzogs überbracht worden war, Colas zu heiraten, hatte Marie den Kopf verloren und Jehan angefleht, sie zu entführen und mit ihr in jene südlichen Länder voll Sonne und Blumen zu fliehen, von denen er ihr dauernd erzählte, seit ein durchreisender Minnesänger ihm von ihnen geschwärmt hatte.
Auf seine Art liebte Jehan Marie. Sie war schön und klug. Er begehrte sie heftig, und der Gedanke, sie zu entführen, besonders, wenn er sie dadurch einem anderen wegschnappte, behagte ihm durchaus. Aber dazu brauchte man Geld. Und so begingen sie ihre schlechte Tat: Marie hatte sich die Hälfte der Ersparnisse ihres Vaters ausgeborgt, ohne es ihm natürlich zu sagen, während Jehan das Haus des Pächters plünderte, der auf seinen Landbesitz in Meursault gereist war. In derselben Nacht, einer sehr dunklen Nacht, waren die beiden Liebenden in Richtung der Saône geflohen, um nicht mehr wiederzukehren. Doch Marie, die geglaubt hatte, dem Glück entgegenzureisen, wurde bald eines Besseren belehrt.
Gewiß, Jehan hatte sie die Liebe gelehrt, und sie hatte Geschmack daran gefunden, aber indem sie sich ihm gab, hatte Marie allmählich jeden Wert in den Augen ihres Geliebten verloren. Und da sie ihn zu sehr liebte, wurde sie ihm schließlich lästig. Überdies lockten den Jungen die schwarzäugigen Schönen des Südens, so daß er bald nur noch einen Gedanken im Kopf hatte: sich Maries zu entledigen, die nicht aufhörte, von Heirat zu sprechen. Und dazu hatte er sich das niederträchtigste, gemeinste Mittel ausgesucht, das sich denken ließ: Mit der frischen Schönheit seiner Verlobten rechnend, hatte er sie an einen griechischen Händler aus Marseille verkauft, der das junge Mädchen nachts entführt, auf sein Handelsschiff gebracht und es auf dem Sklavenmarkt von Alexandrien dem Lieferanten Sarrazin des Kalifen von Granada weiterverkauft hatte.
»Und so bin ich hierhergekommen«, schloß Marie schlicht. »Meine Entscheidung habe ich sehr bald bereut … und das Haus meiner Eltern vermißt. Dieser Colas war vielleicht gar nicht so übel. Ich hätte glücklich mit ihm werden können!«
»Und Jehan?« hatte Cathérine leidenschaftlich gefragt.
Die klaren Augen der Kleinen hatten mörderisch gefunkelt. »Wenn ich ihn eines Tages treffe, töte ich ihn!« versicherte sie so ruhig, daß Cathérine keinen Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher