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Cathérine und die Zeit der Liebe

Titel: Cathérine und die Zeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benzoni Juliette
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kamen. Der Anstieg war beendet, und nun mußte man dem sich über gezackte Kamme hinziehenden Gratweg folgen … Der Himmel lag so tief, daß Cathérine das Gefühl hatte, sie könne ihn berühren, wenn sie nur die Hand ausstreckte.
    Hinter ihr sagte jemand:
    »Bei klarem Wetter kann man das Meer und die Grenzen der drei Königreiche Frankreich, Kastilien und Aragon sehen.«
    Aber das interessierte die junge Frau nicht, die die Ermüdung schwer zu bedrücken begann.
    Es gab an diesem verlassenen Ort Hunderte roher Holzkreuze, von den vor ihnen durchgekommenen Pilgern dort aufgestellt, und Cathérine betrachtete sie mit Schaudern: Es kam ihr vor, als wanderte sie inmitten eines Friedhofs!
    Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, ihre Füße schmerzten, und ihr ganzer Körper zitterte vor Kälte. Die Hoffnung, Arnaud wiederzusehen, mußte schon sehr groß in ihr sein, um so viel Leiden zu ertragen.
    Der Rest des Weges bis zum Paß von Ibañeta weiter unten und dann bis zum Rasthaus von Roncevaux war für sie ein Leidensweg, den die anbrechende Nacht noch verschlimmerte. Als man endlich in Sicht der berühmten, von Erzbischof Sanche de la Rose und König Alfons dem Eroberer erbauten Zufluchtsstätte war, ging der Mond auf und übergoß mit seinem kalten Licht die Häusergruppe mit ihren sehr niedrigen Dächern, ihren dicken, durch kräftige Stützbögen versteiften Mauern, die sich am Fuße der Ausläufer des Ibañetapasses hinstreckte. Das Ganze wurde von einem viereckigen Turm beherrscht, und der Weg durchquerte unter einem Gewölbe das alte Kloster. Der Rauhreif bestäubte alles, gab allen Dingen eine unwirkliche Schönheit, doch Cathérine, am Ende ihrer Kräfte angelangt, war dafür völlig unempfindlich. Sie sah nur eines: Unter dem Gewölbe bewegten sich Laternen, von menschlichen Händen getragen, und diese Laternen bedeuteten Leben, Wärme … Die Zähne zusammenpressend, machte sie eine letzte Anstrengung, um vollends zum Hospiz zu gelangen, doch als sie einmal da war, ließ sie sich auf einen Pferdetritt sinken, unfähig, auch nur noch einen Schritt zu tun.
    Van Eyck und Josse Rallard, die ihre Erschöpfung schließlich bemerkten, trugen die fast Ohnmächtige ins Innere.
    Lange schon hatte man Dame Ermengarde, die man wie ein Paket quer über ihr Pferd hatte hieven müssen, nicht mehr schimpfen hören.
    Auf den Steinen des riesigen Feuerherdes im Pilgersaal sitzend, die Beine in ein Ziegenfell gehüllt und einen Napf heißer Suppe in den Händen, nahm Cathérine langsam wieder Farbe an und begann für ihre Umgebung Interesse zu zeigen. Viel Volk war da unter den niedrigen, rußgeschwärzten Gewölben versammelt: aus Galicia zurückkehrende Pilger, die Mäntel mit sinnbildlichen Muschelschalen geschmückt, in den Augen den Stolz derer, die ihr Gelübde erfüllt haben; Maultiertreiber, die die Nacht mit ihren Gefahren gezwungen hatte, in der Zufluchtsstätte Rast zu machen; navarresische Bauern in schwarzen, oft zerrissenen Röcken, die schmutzbedeckten Beine und Füße in Felle gewickelt, die Zehen frei; Söldner in zerbeulten Kürassen. Durch diese Menge, die die Müdigkeit schweigsam machte, glitten die schwarzen Kutten der gastgebenden Mönche, die Stelle des Herzens mit einem Kreuz gekennzeichnet, dessen Spitze gebogen und dessen Fuß scharf wie ein Degen war, Symbol ihres gleichzeitig religiösen wie militärischen Charakters. Denn sehr oft mußten die Augustinerpatres den Degen ziehen, um den Räubern der Berge ihre Opfer zu entreißen.
    Sie verteilten an alle Brot und Suppe, ohne sich bei dem eleganten Gesandten des Großherzogs des Westens länger aufzuhalten als bei dem geringsten Navarreser. Cathérine schienen ihre rauhen Gesichter aus dem Granit der Berge herausgehauen zu sein und durchaus nicht den runden, wohlgenährten Physiognomien der meisten Mönche im Lande der Ebene zu ähneln … Neben ihr, den Rücken an einen Pfeiler des Kamins gelehnt, saß schnarchend Ermengarde. Die anderen, zum Umfallen müde, aßen oder schliefen schon auf dem Boden. Von weitem, in den Bergen, hörte man die Wölfe heulen …
    Plötzlich öffnete sich die Tür und ließ einen kalten Windstoß herein. Zwei Mönche, die Köpfe durch große Hüte geschützt, die sie tief über ihre Kapuzen gedrückt hatten, traten mit einer Tragbahre ein, auf der eine in Decken gewickelte menschliche Gestalt ausgestreckt lag. Die Tür schlug hinter ihnen wieder zu. Einige Köpfe hoben sich bei ihrem Eintritt, fielen aber bald wieder

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