Cathérine und die Zeit der Liebe
manchmal Felsen in allernächster Nähe den Blicken entzogen. Seit dem Aufbruch am frühen Morgen sprach niemand. Man mußte genau aufpassen, wohin man seinen Fuß setzte, denn es hatte sich als nötig erwiesen, abzusteigen und die Pferde am Zügel zu führen, damit sie nicht stürzten. Und die lange, schweigsame Reihe, die sich im trüben grauen Licht am Berghang entlangzog, hatte etwas Geisterhaftes an sich. Selbst die feucht gewordenen Waffen waren glanzlos. Hinter sich hörte Cathérine Ermengarde schimpfen, die, von Gillette de Vauchelles und Margot la Déroule gestützt, nur mühsam vorwärts kam.
»Dreckwetter und Drecksland! Konnten wir nicht den Weg da unten nehmen wie Kaiser Karl der Große? Die Straßenräuber scheinen mir weniger zu fürchten zu sein als dieser Weg, der gerade gut genug für Bergziegen ist! In meinem Alter muß ich zwischen Felsen herumgaloppieren wie ein alter Klepper! Wenn so etwas einen Sinn haben soll …«
Die junge Frau konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Sie wandte sich halb um und sagte:
»Nun, Ermengarde, brummt nicht herum! Ihr habt es doch selbst so gewollt!«
Sie hatte der alten Dame keinen Ton von ihrer Unterhaltung mit van Eyck gesagt! Was konnte es schon nützen? Ermengarde hätte nicht verstanden, daß Cathérine ihre Handlungsweise als eine Art Verrat auffaßte. Sie hatte in gutem Glauben gehandelt, hatte Catherines Bestes im Sinn gehabt. Und schließlich waren der Maler und seine starke Eskorte ein guter Beistand für den kleinen Trupp in diesen schwierigen Landen. Und endlich, was immer die geheimnisvolle Botschaft sein mochte, die van Eyck ihr mitzuteilen hätte, »wenn die Zeit reif sein würde«, wußte sie nur zu gut, daß er keinerlei Macht über sie besäße, falls er versuchte, sie von ihrem Ziel abzubringen. Trotzdem, die Verschwiegenheit, die van Eyck ihr gegenüber bewahrte, irritierte sie und reizte ihre Neugier. Warum diese fast offizielle Reise, dieser Rang eines Gesandten, diese Bewaffneten, wenn es sich nur um eine Botschaft handelte? Aber Cathérine kannte Jan gut genug, um zu wissen, daß er erst sprechen würde, wenn seine Stunde gekommen war. Es war das beste zu warten … Und wenn sie seit dem Morgen schweigend dahinritt, von einer Traurigkeit übermannt, von der sie sich nicht lösen konnte; wenn sie die schwindelnd hohe Landschaft durchforschte, die flüchtig erblickten Abgründe zwischen den weißen Gipfeln, war es nicht seinetwegen, sondern weil sie an Gauthier dachte … Dies hier war die Kulisse seines Verschwindens, eine Kulisse, die ganz diesem Riesen angepaßt war, den sie für unzerstörbar gehalten hatte! Aber welcher Mann von Fleisch und Blut konnte es mit diesen Riesen aus Fels und Eis aufnehmen? Nie hätte Cathérine sich vorgestellt, daß es ein solches Land geben könne. Und sie wurde sich jetzt klar, daß sie bis zu dieser Minute gegen jede Vernunft, gegen alle Wahrscheinlichkeit gehofft hatte, ihr treuer Diener sei als Sieger aus diesem letzten Kampf hervorgegangen und sie werde ihn irgendwo, wunderbarerweise bewahrt, wiederfinden. Bis hierher hatte sie kommen müssen, um zu begreifen, daß es kein Wunder geben würde!
… Während sie sich den schwierigen Weg entlangschleppte, das Pferd hinter sich, dachte Cathérine nicht daran, was sie selbst zu ertragen hatte. Statt dessen schien es ihr, als sähe sie durch den dichten Nebel die massige, kraftvolle Gestalt ihres Gefährten in grausamen Stunden auftauchen, sein vertrautes Lächeln und seine grauen Augen, die die ganze blinde Wildheit der alten nordischen Götter und allen Freimut eines Kindes enthalten konnten. Schmerzend zog sich ihre Kehle zusammen, und sie mußte einen Moment die Augen schließen, die voll Tränen waren. Und dann entfernte sich der Schatten des guten Riesen und vereinte sich in Catherines gepeinigtem Herzen mit der hochmütigen Gestalt Arnauds. Die Sehnsucht wurde einen Augenblick lang so grausam-schmerzlich, daß die junge Frau sich am liebsten zwischen den vereisten Steinen des Weges niedergelegt und den Tod erwartet hätte … Einzig der Stolz und ein Wille, der über ihre Entmutigung triumphierte, hielten sie aufrecht und ließen sie weitertrotten, vorwärts, vorwärts, ohne daß auch nur einer ihrer Gefährten das Drama, das sich in ihr abspielte, ahnen konnte …
Als man auf dem Paß von Bentarté anlangte, begann der Tag sich seinem Ende zuzuneigen. Der Wind blies in so heftigen Stößen, daß die Reisenden nur gebeugt vorwärts
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