Cathérine und die Zeit der Liebe
jugendliche Frauenstimme ein Liebeslied, von Zeit zu Zeit vernahm man auch Gelächter. Der tiefblaue Himmel und die Pracht der Sonne verliehen diesem seltsamen Kloster eine Note ausgelassener Heiterkeit.
»Was soll das bedeuten?« fragte Cathérine verblüfft.
»Daß die Nonnen von Las Huelgas in Wirklichkeit auf Grund ihrer Schönheit und ihrer Liebeskünste ausgewählt werden und nicht nach ihrer vornehmen Herkunft oder ihrer Frömmigkeit«, erwiderte Hans spöttisch. »König Johann, ein Künstler, der die Musik über alles liebt, und der Konnetabel, der die Damen über alles liebt, halten sich häufig … und in sehr angenehmer Gesellschaft im Kloster auf. Aber da werden wir unseren Toten und unsere Steine nicht abladen, sondern bei den alten Mönchen des Hospitals des Königs, das übrigens sehr schlecht zu dieser parfümierten Nachbarschaft paßt.«
Das alte Hospiz stand etwas entfernt und war wesentlich weniger schick als das schöne Kloster. Seine Mauern zerbröckelten und drohten an mehr als einer Stelle zur Ruine zu verfallen. Die Pilger von Compostela stiegen hier nicht ab, zogen vielmehr das Hospiz von Santo Lesmes mitten in Burgos vor. Allmählich versank das Hospital des Königs in Vergessenheit. »Die Ausbesserungen, die ich hier machen muß, sind mehr als dringend!« bemerkte Hans. »Aber wir sind da!«
Er hatte mit seinem Gespann den Turmvorbau durchfahren, durch den man in den Innenhof gelangte, und schon kam ihnen der alte Bruder Torhüter entgegen, ein Willkommenslächeln im ausgemergelten Gesicht.
»Meister Hans!« rief er. »Euch schickt wahrhaftig der Herr, denn die Glocke unserer Kapelle droht uns bei jedem Messeamt auf den Kopf zu fallen! Es war höchste Zeit, daß Ihr kamt. Ich werde den Ehrwürdigen Abt benachrichtigen.«
Während er über den mit Gras überwucherten Hof trippelte, glitt Cathérine langsam von ihrem Sitz.
Als sie und Josse eine Stunde darauf das Hospital des Königs wieder verließen, war ihre Stimmung trotz der gelungenen Flucht auf dem Tiefstand. Gerberts Tod lag der jungen Frau noch schwer auf der Seele. Sie machte sich Vorwürfe, als wäre sie an diesem Tod schuld gewesen. Außerdem beunruhigte sie der Zustand Gauthiers außerordentlich …
Vor kurzem, als nach einem schnellen Getuschel zwischen Hans und dem Vater Abt die lange, in rauhes Linnen gewickelte Gestalt vom Wagen heruntergenommen worden war, hatte sich nämlich etwas Befremdendes und Schreckliches ereignet. Der Normanne war aus seiner Betäubung erwacht, als man ihn auf eine Bank gelegt hatte. Aber er hatte die übrigens verdrehten Augen nur aufgeschlagen, um eine merkwürdige Krise durchzumachen. Sein Körper war steif geworden, und seine Kinnlade hatte sich so verkrampft, daß die Zähne knirschten. Dann war der Riese plötzlich von der Bank gerollt und hatte sich mit heftigen Kopf- und Körperzuckungen auf dem Boden gewälzt. Danach war er in tiefe Betäubung gefallen, während ihm weißer Schaum auf die Lippen trat. Entsetzt war Cathérine bis zur Wand zurückgewichen und hatte sich so fest an sie gedrückt, als hoffte sie, mit ihr zu verschmelzen. Hans und Josse hatten sich nicht gerührt: Mit gerunzelten Stirnen sahen sie zu. Dafür hatte der Abt sich mehrere Male bekreuzigt, war eilends davongelaufen und fast sofort mit einem vollen Eimer Weihwasser wiedergekommen, den er über den Verwundeten ausgoß. In seinen Fußstapfen trottete ein Mönchlein mit einem riesigen Weihrauchfaß, dem ein dicker, erstickender Qualm entströmte.
Hans hatte keine Zeit gehabt, das Vorhaben des Abtes vorauszusehen und den unglücklichen Gauthier vor der kalten Dusche zu bewahren. Aber er bemühte sich sofort, den Zorn des heiligen Mannes zu besänftigen, dessen wütende Miene keinen Zweifel an seinem Verlangen zuließ, daß der vom Teufel besessene Unbekannte alsbald aus seinem heiligen Hospiz gebracht wurde. Hans hatte Cathérine einen besorgten Blick zugeworfen.
»Ihr müßt jetzt gehen. Man wird Euch einen zweirädrigen Planwagen geben, um ihn fortzuschaffen. Der Abt glaubt, er sei vom Teufel besessen … und ich kann nicht mehr viel für Euch tun!«
»Ist er wirklich … besessen?« fragte Cathérine bestürzt.
Es war Josse, der sie unerwarteterweise aufklärte.
»Die alten Römer nannten diese Krankheit die heilige Krankheit. Sie behaupten, daß ein Gott den Menschen in seinem Krampf bewohne. Aber ich habe einmal einen maurischen Arzt gekannt, der versicherte, es handle sich nur um eine Krankheit,
Weitere Kostenlose Bücher