Cathérine und die Zeit der Liebe
Gauthier, aber sie wollte nicht lange dabei verweilen. Sein Zustand bereitete ihr so bitteren Kummer, daß dies ihren Mut schwächen könnte, den sie mehr als je brauchte. Sie durfte sich nicht mürbe machen lassen, wenn sie die Chance wahrnehmen wollte, ihn zu retten. Es war schon schön, ihn wiedergefunden und einem schrecklichen Tod entrissen zu haben, nachdem sie ihn längst für sich verloren geglaubt hatte. Wer konnte sagen, ob der Maure des Erzbischofs Fonseca ihm nicht den Verstand wiedergeben würde und ob sie nicht im Triumph und unversehrt eines Tages in das märchenhafte Land der Mauren einziehen würden, um Arnaud zu befreien?
Arnaud … Verblüfft entdeckte Cathérine, daß sie ihm seit mehreren Tagen, völlig in Anspruch genommen von dem grausamen Problem Gauthier, kaum einen Gedanken gewidmet hatte. Nachdem sie nun Muße hatte, an ihn zu denken, stellte sie fest, daß ihr Zorn nicht verebbt war, im Gegenteil, daß er vielleicht noch mehr kochte, seitdem sie Gauthier wiedergefunden hatte. So viele Strapazen und Leiden erduldet für einen flatterhaften Gatten, der keine Ahnung davon hatte und höchstwahrscheinlich zu dieser Stunde, in der seine Frau die gelbe Einöde des alten Kastiliens langsam an sich vorüberziehen sah, einen Mann, der den Verstand verloren hatte, mit sich führend und das Herz überquellend vor Kummer, sich von den Liebkosungen einer Ungläubigen im Lustgarten eines sarazenischen Palastes umgirren ließ! Das derart beschworene Bild brachte die übliche ablenkende Wirkung hervor. Sie warf der Umgebung einen mit Groll geladenen Blick zu.
»Was für ein häßliches Land! Bleibt es so bis Granada?«
»Glücklicherweise nicht!« antwortete Josse mit seinem seltsamen Lächeln um die geschlossenen Augen. »Aber ich muß sagen, daß wir die Wüstenei noch nicht hinter uns haben.«
»Wo werden wir heute übernachten?«
»Ich weiß es nicht. Wie Ihr feststellen könnt, gibt es nicht viele Dörfer. Noch ist die Mehrzahl derer, die es einmal gab, verfallen und verlassen. Die große schwarze Pest im vergangenen Jahrhundert hat die Städte verwüstet und das Land entvölkert.«
»Trotzdem gibt es immer noch Überlebende!« murrte Cathérine. »Und nach einem Jahrhundert wäre es vielleicht endlich an der Zeit, wieder das Land zu bestellen!«
»Ihr rechnet nicht mit der Mesta!«
»Was ist denn das?«
»Die Zunft der Schafzüchter. Sie ist eine der seltenen Produktivkräfte dieses Landes. Ihre riesigen Herden ziehen von Landstrich zu Landstrich, den Jahreszeiten folgend, und keine Grenze und kein Hindernis kann sie aufhalten. Wie wollt Ihr unter solchen Bedingungen das Land bestellen? Da, schaut!«
Mit seiner Peitsche deutete Josse auf einen dunkelbraunen Fleck am blassen Horizont, der hin und her zu wogen schien. »Da drüben sind mehrere hundert Stück Vieh, aber Ihr könnt sehen, daß sie gut bewacht werden.«
Tatsächlich waren die üblichen ländlichen Gestalten von Hirten in langen Gewändern zu sehen, dazu einige Reiter auf Maultieren, die, sonst ebenso bäurisch wie ihre Gefährten, im Gürtel jedoch große Hirschfänger trugen. Josse hob die Schultern. »Diese Tiere sind der Reichtum irgendwelcher Leute. Der Rest des Landvolks lebt in gräßlichem Elend. Aber mit einigem Glück werden wir vielleicht ein Schloß oder sonst ein Quartier finden, das uns aufnimmt …«
»Seht zu, daß wir irgendwo einen Bach, ein Flüßchen oder auch nur eine einfache Pfütze in der Umgebung finden. Seit langem habe ich mich nicht so schmutzig gefühlt …«
Josse warf ihr einen spöttischen Blick zu und hob wieder die Schultern:
»Eine Leichtigkeit! Wasser, Dame Cathérine, ist hier noch seltener als Nahrung.«
Entmutigt stieß die junge Frau einen Seufzer aus und sank tiefer auf ihren Sitz.
»Wahrhaftig, das Leben ist sinnlos …«, stöhnte sie. »Und wie lange wird es noch dauern bis Coca?«
»Fünf Tage, wenn diese beiden Biester sich endlich bequemen, im Gleichschritt zu gehen statt jedes für sich!«
Und in der trügerischen Hoffnung, sein Gespann dadurch aufzumuntern, stimmte Josse ein Trinklied an, so entsetzlich falsch, daß Cathérine eine Grimasse schnitt.
»Was wollt Ihr damit erreichen?« spöttelte sie. »Daß es regnet oder daß diese Tiere uns durchgehen?«
Aber ihre schlechte Laune war verflogen. Sie stimmte sogar in Josses Lied ein, und so kam ihr der Weg weniger monoton vor.
Kapitel 7
Trotz der augenscheinlichen Bockigkeit seiner Pferde hielt Josse Wort. Die Reise
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