Cathérine und die Zeit der Liebe
entwischt, glücklich, sich nur unter Zurücklassen ihrer Pferde aus dem Staube machen zu können. Übrigens war, wie Josse bemerkte, die maurische Grenze nicht mehr weit, und auf jeden Fall hätte man auf die Pferde verzichten müssen, denn Bettler waren selten beritten. »Aber man hätte sie verkaufen können!« hatte Gauthier als guter Normanne eingewandt.
»An wen? Es gibt in diesem schönen Land keine Menschenseele, die genug Geld hätte, auch nur ein Eselchen zu kaufen! Die Erde ist zwar reich, aber Jahr um Jahr streitet man sich in dieser Ecke, so daß nicht einmal mehr Gras wächst. Entweder machen die Sarazenen Überfälle nach Norden, oder die Kastilier kommen herunter, in der Hoffnung, die Reconquista zu vollenden … aber für das Volk nach Jaén und Umgebung bleibt immer dasselbe Ergebnis: verbrannte Erde.«
Mutig hatten die drei Gefährten sich zu Fuß auf den Weg gemacht, auf den kaum begangenen Pfaden der Gebirgskette bei Nacht marschierend, sich tagsüber verbergend und sich nach den Sternen richtend, die für den Pariser Landstreicher wie für den Waldriesen der Normandie anscheinend keine Geheimnisse bargen. Die letzte Strecke ihrer Wanderung war hart und erschöpfend gewesen, aber Cathérine hielt tapfer durch. Dieses unbekannte, beim Einbruch der Nacht so blaue Firmament, diese Sterne, größer und funkelnder, als sie sie bislang gesehen hatte, all dies sagte ihr, daß sie sich endlich dem fremden, faszinierenden und gefährlichen Ort näherte, wo Arnaud lebte.
Der Weg, den sie entlangzogen, sprach von Krieg, Leid und Tod. Manchmal stolperten sie in der Dunkelheit über eine unter einem Dornstrauch verwesende Leiche, oder während einer Rastpause bei Tag klang der unheilkündende Schrei der Aasgeier am blauen Himmel. Die großen schwarzen Vögel kreisten gewichtig umher, um sich dann plötzlich wie ein Stein auf irgendeinen Punkt in der Landschaft herunterfallen zu lassen. Als Cathérine jedoch von der Höhe der ausgetrockneten Sierra in der von der Sonne eines wundervollen südlichen Tages bereits übergossenen Morgendämmerung die Pracht Granadas erblickte, war sie vor Bewunderung stehengeblieben. In seinen Gebirgsschrein gebettet wie in das Herz einer riesigen Muschel, deren Perlmuttglanz das Meer widerspiegelte, lag es als Juwel am Rande eines grüngoldenen Tales, das die schneebedeckten Gipfel einer Sierra umschlossen.
Zahllose Quellen entsprangen den Bergen, vereinigten sich zu klaren Sturzbächen und erfrischten dieses wunderbare Land, das in den Himmel zu wachsen schien, und als Opfergeschenk errichtet, erhob sich auf einem kantigen Vorgebirge aus roten Felsen der rötlichste, schillerndste aller maurischen Paläste. Eine hohe Mauer, bestückt mit viereckigen Türmen, umschloß liebevoll ein verlockendes Durcheinander von Blumen, Bäumen und Lusthäusern. Stellenweise erriet man das Glitzern von Springbrunnen, den Wasserspiegel der Becken. Und selbst die rauhen Ziegelsteine der Festungswälle, die nicht gerade besondere Schönheit ausstrahlten, schienen die Harmonie und dieses glückliche Tal, in dem sich Reichtum und Überfülle wie ein erstaunlicher Seidenteppich ausbreiteten, nicht stören zu können.
Um den bezaubernden Palast herum stieg die Stadt stufenweise die Hügel hinan. Schlanke weiße oder rote Minarette ragten neben den grünen oder goldenen Kuppeln der Moscheen in die blaue Luft. Paläste erhoben sich über den Häusern, aber höher als sie alle ragte das imposante Gebäude der islamischen Universität, im Wettstreit mit dem gewichtigen Bau des großen Hospitals, dem Maristan, ohne Zweifel dem zu dieser Stunde am besten ausgestatteten Krankenhaus Europas.
Es war die Stunde des Sonnenaufgangs, die Stunde, in der von jedem dieser Minarette die durchdringenden Stimmen der Muezzins erklangen und die Gläubigen zum Gebet riefen.
Der Gebirgspfad bildete an dieser Stelle eine Art Plattform, von der aus man einen Rundblick über das gesamte herrliche Land hatte. Cathérine setzte sich auf einen Felsbrocken ganz am Rand des Vorsprungs, und die beiden anderen, die ihre innere Bewegung errieten, traten beiseite, um sie mit ihren Gedanken allein zu lassen, und machten in einiger Entfernung an einer Wegbiegung Rast.
Cathérine konnte die Augen nicht von dem zu ihren Füßen ausgebreiteten fabelhaften Land wenden. Da unten lag das lang ersehnte Ziel ihrer irrsinnigen Reise, die sie gegen jede Vernunft angetreten hatte, und sie war zu Tränen gerührt, daß es so schön war. War
Weitere Kostenlose Bücher