Cathérine und die Zeit der Liebe
noch Zeit, sich an ein Haus zu drücken, um den Stöcken der Läufer zu entgehen, die aus Leibeskräften brüllten. Als die Sänfte an Cathérine vorüberkam, wurden die blauen Musselinvorhänge durch einen Windstoß auseinandergetrieben, und die junge Frau konnte eine auf goldbestickten Kissen liegende und ganz in blaue Schleier gekleidete schlanke, biegsame Gestalt sehen, deren langes schwarzes Haar mit goldenen Zechinen durchflochten war und die hastig einen ihrer Schleier vor das Gesicht zog. Aber die junge Frau hatte Zeit gehabt, die Schönheit dieser Frau, ihr gebieterisches Profil und ihre riesigen schwarzen Augen, ebenso die Juwelen, die ihren Hals zierten, zu bemerken.
»Wer ist diese Frau?« fragte sie in plötzlicher Bangigkeit mit erstickter Stimme. »Sie ist mindestens eine Prinzessin …«
Ohne zu antworten, fragte Josse mit der weinerlichen Stimme, die er sich angewöhnt hatte, einen Wasserträger neben ihnen, wer die Dame in der Sänfte sei. Die Antwort war niederschmetternd. Josse brauchte sie ihr nicht zu übersetzen, denn seit sie über die Pyrenäen gekommen waren, hatte er die Ruhestunden auf ihrem Weg dazu benutzt, der jungen Frau so viel Arabisch beizubringen, wie er verstand. Sie kannte genug davon, um einer leichten Unterhaltung folgen zu können, und hatte genau verstanden, was der Wasserträger gesagt hatte.
»Das ist die kostbare Perle der Alhambra, die Prinzessin Zobeida, Schwester des Kalifen!«
Die Schwester des Kalifen! Die Frau, die ihr Arnaud weggenommen hatte! Weshalb mußte sie gleich bei ihren ersten Schritten in der maurischen Stadt ihrer Rivalin begegnen? Und was für einer Rivalin! … Mit einem Schlag schwand das tiefe Vertrauen, das Cathérine sich auf der langen, endlosen Reise von Puy bis in diese fremde Stadt bewahrt hatte. Die flüchtig erblickte Schönheit ihrer Feindin verlieh ihrer Eifersucht noch eine zusätzliche schreckliche Bitterkeit, einen beißenden Geschmack, der sogar die warme Luft dieses Morgens vergiftete. Cathérine ließ sich gegen die von der Sonne heißgebrannte Wand sinken. Unendliche Müdigkeit, geboren aus der Erschöpfung der vergangenen Tage und dem Schock, den sie soeben empfangen hatte, drückte sie nieder. Große Tränen stiegen ihr in die Augen … Arnaud war für sie verloren. Wie konnte sie nach der blendenden Erscheinung in Gold und Blau, die soeben ihren Blicken entschwunden war, noch daran zweifeln? Der Kampf war von vornherein verloren …
»Sterben!« hauchte sie. »Sofort sterben!«
Obgleich es nur ein kaum merkliches Murmeln gewesen war, hatte Gauthier es gehört. Während Josse, ratlos vor diesem plötzlichen Schmerz, sich daranmachte, einen Hausierer auszufragen, der ›volle, dicke Mandeln und saftige Granatäpfel‹ feilbot, stellte er sich vor die gebrochene junge Frau und riß sie mit harter Faust empor.
»Na und? Was hat sich denn geändert? Warum wollt Ihr sterben? … Weil Ihr diese Frau gesehen habt? Denn die ist es doch, nicht wahr, die Ihr besiegen wollt?«
»Besiegen!« rief sie mit schmerzhaftem Lachen. »Womit besiegen? Dieser Kampf ist unmöglich geworden! Ich war verrückt, als ich glaubte, ich könne ihn wiedergewinnen! Hast du die Prinzessin Ungläubig gesehen? Fortunat hatte recht. Sie ist schöner als der Tag, ich habe keine Chance gegen sie.«
»Keine Chance? Und warum nicht?«
»Erinnere dich doch dieser blendenden Erscheinung! Und schau mich an …«
Er hielt sie im letzten Augenblick zurück, als sie den schwarzen, schmutzigen Kattun herunterreißen wollte, unter dem sie fast erstickte, um ihr Gesicht, ihr blondes Haar zu enthüllen.
»Ihr seid am Ende, aber Ihr müßt Euch zusammennehmen! Man wird schon auf uns aufmerksam! … Dieser Schwächeanfall bringt uns alle in Gefahr! Unsere ungewöhnliche Sprache …«
Er brauchte nicht weiterzusprechen. Durch eine ungeheure Willensanstrengung überwand Cathérine ihre Mutlosigkeit. Gauthier hatte genau das Richtige gesagt, was ihr helfen konnte – hatte ihr klargemacht, daß ihre Haltung sie alle in Gefahr brachte. Übrigens kam Josse jetzt wieder zurück. Der falsche Blinde griff tastend nach der Wand und murmelte:
»Ich weiß, wo der Arzt wohnt. Es ist nicht weit. Zwischen dem Hügel der Alkazaba und den Mauern der Alhambra, am Flußufer. Der Mandelhändler hat mir gesagt: ›zwischen der Brücke des Kadi und dem Hamman, einem großen Haus, wo Palmen stehen …‹«
Ohne ein weiteres Wort brachen sie, sich wieder an den Händen haltend,
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