Cathérine und die Zeit der Liebe
des Parisers hatte zuerst auf die Linie der Bergkämme gedeutet, die von kleinen Forts durchsetzt war, deren Mauern nichts Liebliches an sich hatten. Hier Blumen, da Bäume, deren grüne Wedel von dem nach Orangen duftenden Wind sanft bewegt wurden, dort rauschende Palmen, aber auf den Zinnen der dunkle Blitz des Stahls, die schimmernde Spitze weißbeturbanter maurischer Helme. Dann zeigte die Hand Josses wieder auf den doppelten Festungswall von Granada hinunter, deutete auf die Raben, die auf merkwürdigen runden Gebilden saßen. »Abgeschnittene Köpfe!« sagte er nur. »Wie reizend!« Und Cathérine schauderte, doch ihr Mut verließ sie nicht. Die Falle war verlockend mit Blumen geschmückt und zweifellos gefährlich, aber sie würde ihr ihr Geheimnis mit bloßen Händen und nur mit ihrer Liebe bewaffnet entreißen. »Gehen wir!« sagte sie nur.
Die Lumpen, die sie und ihre beiden Gefährten bedeckten, hatte Josse von den Leichen gestohlen, auf die sie auf ihrem Weg durchs Gebirge gestoßen waren. Ihr Schmutz hatte der jungen Frau Übelkeit verursacht, aber unter dem schwarzen Kattun fühlte sie sich sicher. Dieses Land, das der Frau nur die Augen zu zeigen gestattete, hatte praktische Bräuche für den, der sie verbergen wollte.
Die Augen fest auf das viele Grün gerichtet, von dem sich die warmgetönten Mauern der Alhambra so gut abhoben, ließ Cathérine sich mit aus Furcht und Hoffnung gleichermaßen klopfendem Herzen mitziehen. Die Kreuzfahrer von einst mußten ähnlich empfunden haben, als sie Jerusalem zu Gesicht bekamen … Inmitten einer gestikulierenden, schreienden Menge, in Blumendüften und Gerüchen nach ranzigem Öl durchschritt sie die erste, ziemlich verlotterte Umwallung. Die zweite schien sehr weit zu sein, jenseits eines Geländes ohne Bäume oder Gebäude, das aber fast ebenso dicht bevölkert war wie ein Marktplatz am Markttag. Dort waren die Getreidehändler, die Kürschner und Kräuterhändler. Maulesel, Hammel, gemächliche Kamele gingen zwischen den im Staub liegenden Ballen umher, auf denen die Muselmänner in ihren erdfarbenen Dschellabas saßen und die Kunden mit lauten Rufen anlockten. Weiter hinten verkaufte man Brennholz, Kohlen, Stroh, Grünfutter. Die zweite, viel höhere Umwallung, die sich durch das hufeisenförmige Tor der Alkazaba zur Stadt hin öffnete, gab dieser Menge, die in sich alle Farben der Erde vereinigte, von Schwarz bis zum brennenden Rot über alle Schattierungen von Braun, Grau, Gelb und Ocker, einen roten Hintergrund. Und dann, wenn man das zweite Tor durchschritten hatte, wurde alles grün. Riesige Mengen Myrrhe, Basilienkraut, Estragon, Lorbeer erfüllten mit ihrem Duft die blaue Luft im Verein mit Körben voller Oliven, Zitronen, Pistazien, Kapern und Ziegenhautschläuchen voller ausgelassener Butter und Honig … Diese rote Stadt, im Kern aus Häusern mit flachen Dächern und nackten, mit Kalk geweißten Mauern bestehend, war wie ein ungeheures Füllhorn, aus dem der Wohlstand floß. Sie erhob sich an der Spitze Europas, Klaue des riesigen, geheimnisvollen und fruchtbaren Afrikas, das sich hinter ihr bis zum Ende des Himmels öffnete. Von den spanischen Eroberungen der schrecklichen Sultane, der Almoraviden oder Almohaden, schwarzverhüllte Männer aus dem Großen Atlas und dem fabulösen Marrakesch, blieb nur noch wenig übrig: dieses Königreich Granada von geringer Ausdehnung, verzuckert und rot wie die Frucht, deren Name es trug, das in sich allein den ganzen Orient und ganz Afrika zusammenfaßte.
»Was für ein märchenhaftes Land!« murmelte Cathérine voll Erstaunen. »Welcher Reichtum!«
»Ihr solltet lieber nicht französisch sprechen«, flüsterte Josse. »Es ist eine wenig bekannte Sprache bei den Mauren! Wir sind jetzt an Ort und Stelle. Habt Ihr eine Ahnung, wo Euer Freund, der Arzt, wohnt?«
»Er hat mir gesagt, sein Haus stehe an einem Fluß …«
Sie stockte, öffnete die Augen weit. In dem schmalen Gäßchen, das sich zwischen den weißen Häusern mit den kahlen Mauern hindurchwand, näherte sich ein Zug. Mit Stöcken bewaffnete Läufer trieben die Hausierer zurück, die die Luft mit ihren Rufen und dem Gebimmel ihrer Glöckchen erfüllten, dann kamen Reiter in weißen Burnussen. Schließlich erschien auf den Schultern von sechs ebenholzschwarzen Sklaven, die bis zum Gürtel nackt waren, eine vergoldete, über den beturbanten Köpfen wie eine Karavelle auf den Wogen segelnde Sänfte. Cathérine und ihre Gefährten hatten gerade
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