Cathérine und die Zeit der Liebe
und legte der jungen Frau die Hand auf die Schulter.
»Redet nicht weiter, Dame Cathérine. Erinnert Euch, was ich Euch gesagt habe! Kommt! Es ist Zeit zum Aufbruch!«
Diesmal unterwarf sie sich seiner Autorität. Gehorsam drehte sie sich um, trat zu der von Josse und den Tieren gebildeten Gruppe, ließ sich wortlos in den Sattel helfen und wandte sich dem Torbogen zu. Erst als sie durch das hochgezogene Fallgatter ritten, drehte sie sich noch einmal um, fand aber die Sicht durch die breiten Schultern des unmittelbar hinter ihr reitenden Normannen versperrt.
»Seht Euch nicht um!« befahl er. »Ihr müßt Euren Weg gehen, geradeaus … und ohne Euch je wieder umzusehen. Merkt Euch, was ich Euch gesagt habe: Vor Eurem Gott und vor den Menschen seid Ihr die Frau Arnauds de Montsalvy! Alles andere vergeßt!«
Wieder gehorchte sie, sah nach vorn durch den roten Spitzbogen auf das kahle, großartig sich entfaltende Plateau hinaus, doch an Gauthier vorbei hatte sie trotzdem für einen Moment die hohe schwarze Gestalt des Mönchs bemerkt, der, die Hände in den Ärmeln seiner Kutte verborgen, noch immer an der Stelle stand, wo sie ihn verlassen hatte. Streng, rätselhaft blickte er ihr nach … Und Cathérine ahnte, daß dieses Bild sich wie ein Dorn in ihr Herz, in ihr Fleisch bohren würde, an dem sich ihre Liebe unablässig wund reiben mußte – vorausgesetzt, daß es ihr gelänge, ihn wiederzufinden.
Lange und schweigend ritt sie dahin, überließ ihrem Pferd die Zügel. Josse hatte die Führung übernommen und folgte der Straße. Sie ritt mechanisch hinter ihm, ohne etwas von der Landschaft zu sehen, die bereits unter der gnadenlosen Sonne Kastiliens lag. Nach einem mühsamen Anstieg bot sich ihren Augen ein gigantisches Panorama von Ebenen und ockerroten Sierras, da und dort von elenden Dörfern durchsetzt, die, so gut es gehen wollte, dürftige Hanffelder unterhielten. Hin und wieder die gedrungenen Umrisse einer kleinen romanischen Kirche oder die hochmütigen Mauern eines Klosters, manchmal auch ein dürftiges Schloß, dessen Turm auf einem Felsen stand wie ein sehnsüchtiger, auf einem Bein träumender Reiher … Aber Cathérine sah von allem nichts. Sie sah nur vor ihrem inneren Auge die drohende Gestalt eines einäugigen Mönchs, dessen Schweigen sie vielleicht verurteilte. Zu Füßen der Jungfrau von Puy hatte sie gefleht, Gott möge ihr ihren Gatten wiedergeben … Hatte Gott so mit ihrem Herzen, mit ihrer Liebe gespielt? Konnte Gott so grausam sein, den, den sie für tot hielt, ihren Lebensweg wieder kreuzen zu lassen, während sie verzweifelt einen Lebenden wiederzufinden hoffte? Wo war jetzt die Pflicht? Gauthier sagte, sie müsse ihren Weg weitergehen, koste es, was es wolle, ohne zurückzublicken … Aber Gauthier kannte Gott nicht. Und wer konnte wissen, was Gott von ihr, Cathérine, forderte?
Die Bilder Fray Ignacios und Garins standen sich in ihrem Geist jetzt gegenüber. Alles, was sie über ihren ersten Gatten im Gedächtnis bewahrt hatte, kreiste nun um die strenge Gestalt des Mönchs. Garin am Hochzeitsabend, Garin mit haßverzerrtem Gesicht im Schloßturm von Malain, Garin schließlich im Kerker, im Stock, die Augenhöhle offen sichtbar. Trotz der sengenden Sonne glaubte Cathérine, wieder die Feuchtigkeit der finsteren Zelle auf den Schultern zu spüren und den schimmligen Modergeruch zu riechen. Sie sah, jawohl, sie sah, wie Garin ihr sein verletztes Gesicht zuwandte, als sie in die Zelle getreten war. Und plötzlich fuhr sie auf.
»Mein Gott!« murmelte sie. »Das stimmt ja … Warum habe ich denn nicht früher daran gedacht …«
Mitten auf dem einsamen Saumpfad hielt sie ihr Pferd an und blickte von einen ihrer Begleiter zum anderen, die ebenfalls angehalten hatten. Und ganz plötzlich, aus heiterem Himmel sozusagen, brach sie in Lachen aus. In helles, freudig-junges Lachen … ein befreiendes Lachen, das aus tiefstem Herzen kam, die Kehle löste, ihr Tränen in die Augen trieb, ein verrücktes Lachen, das nicht enden wollte und Cathérine zwang, sich auf den Hals ihres Pferdes hinunterzubeugen … Mein Gott, wie komisch das war! … Wie konnte sie nur ein solches Hornvieh gewesen sein, das sie das nicht sofort bemerkt, sich derart darüber aufgeregt hatte? … Nein, das war wirklich die komischste und drolligste Sache, die ihr je vorgekommen war … Sie lachte, sie lachte, bis sie außer Atem war … Und natürlich hörte sie Josse besorgt ausrufen:
»Sie … sie ist
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