Cato 01 - Im Zeichen des Adlers
heroisch einer erdrückenden Übermacht entgegenwarfen. Die Unmengen an Schreibarbeiten und der lästige Verwaltungskram, die ebenso dazugehörten, wurden kaum wahrgenommen, dabei waren es doch gerade Disziplin und Ordnung, die das reibungslose Funktionieren der Armee überhaupt erst ermöglichten. Was immer die Öffentlichkeit glauben mochte, das Geheimnis eines guten Generals war eine gute Armee, und den allerbesten Armeen gehörten Leute an, welche die Kriegführung mit systematischer Gründlichkeit betrieben.
Der Legat wälzte sich von der Pritsche, zog ein Gewand an und setzte sich an den Schreibtisch. Sein Leibsklave hatte ihm einen Becher mit warmem Wein und ein kleines Silbertablett mit in Olivenöl getränktem Brot hingestellt. Während Vespasian sich an beidem gütlich tat, warf er bereits einen Blick auf die neuesten Schriftstücke. Die Vollzugsberichte der Zenturien zeichnete er ab und legte sie auf einen Stapel, dann überflog er ein paar Materialanforderungen, die seiner Zustimmung bedurften. Schließlich las er den letzten Bericht. Von Todogumnus noch immer keine Spur, und die weit auseinander gezogenen berittenen Patrouillen waren nach Westen und Norden verlagert worden. Das war höchst verwunderlich – es sei denn, es gab keine gegnerische Streitmacht. Dies schien zwar immer wahrscheinlicher, doch Vespasian wusste um die Zufälle des Schicksals und weigerte sich bislang, die Existenz der britischen Streitmacht anzuzweifeln. Und deshalb würde man in enger Formation marschieren, auch wenn die Männer deswegen murren sollten. Vorsicht war besser als Wagemut – dies sah man an Vitellius, diesem Idioten, der mit den Kundschaftern losgeritten und einfach verschwunden war, zusammen mit einer Schwadron dringend benötigter Reiter. Wahrscheinlich irrte er völlig verängstigt in der Dunkelheit umher. Geschah ihm nur recht.
Als er den Schreibkram erledigt hatte, rief Vespasian den Waffenmeister und stand, in Gedanken versunken, still, während ihm der Mann die auf den Leib geformte Brustplatte anlegte und sie an der Vorderseite sorgfältig verschnürte. Während er die letzten Handgriffe vornahm, schweifte der Blick des Legaten zu den kleinen Standbildern auf seinem Schreibtisch, die seine Frau und seinen Sohn darstellten. Ein bohrendes Schuldgefühl veranlasste ihn, die Stirn zu runzeln. Es war mehrere Tage her, dass er auch nur an sie gedacht hatte; das dem Kommandanten im Feld auferlegte Arbeitspensum ließ keinen Raum fürs Privatleben. Auf einmal aber wurde ihm bewusst, wie sehr sie ihm fehlten. Obwohl es erst zehn Tage her war, dass er den Konvoi verabschiedet hatte, der sie nach Rom bringen sollte, kam es ihm bereits wie eine Ewigkeit vor. Und da ein langer Feldzug vor ihm lag, würde er sie vielleicht erst nach Jahren wiedersehen. Titus würde ein Junge sein, kein kleines Kind mehr, das sich nur unbeholfen ausdrücken konnte und einen eigentümlichen Humor besaß. Und Flavia … wie würde Flavia dann sein? Würde sie noch mehr graue Strähnen im Haar haben? Ein paar zusätzliche Falten um Augen und Mund, wenn sie lächelte? Auf einmal wünschte er, sie beide an sich zu drücken und nie mehr loszulassen. Das Brennen in seinen Augen bemerkte er erst nach einer Weile, doch dann blinzelte er die Tränen eilig fort.
»Zu eng, Herr?«
»Was? Ach, nein, das passt hervorragend. Du kannst jetzt gehen.«
»Jawohl, Herr.«
Als Vespasian allein war, zwickte er sich fest in den Arm. Das war knapp gewesen – hätte er sich noch einen Moment länger im Heimweh gesuhlt, wäre er vor einem verdammten Sklaven in Tränen ausgebrochen. Bei der Vorstellung, dass der Sklave seinen Kameraden womöglich gerade von der sentimentalen Anwandlung des Legaten erzählte, brannte er innerlich vor Scham. All die Mühe, die er darauf verwandt hatte, nach außen hin das Bild eines harten, disziplinierten Kommandanten mit einem Herz aus Stein zu zeigen, der unberührbar über seinen Männern thronte, wäre umsonst gewesen, wenn er seine Gefühle offenbarte. Nun, er wollte verdammt sein, wenn er es noch einmal so weit kommen ließ. Verärgert klappte er die mit Scharnieren versehenen Ebenbilder Flavias und Titus’ zu und nahm sich vor, sie von einem Sklaven für die Dauer des Feldzugs ganz unten in der Reisetruhe verstauen zu lassen.
Seine üble Stimmung hielt sich den Morgen über, und als er seine Befehle erteilte, war seine Barschheit nicht allein darauf zurückzuführen, dass er den Schaden, den er mit seiner momentanen
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