Cato 01 - Im Zeichen des Adlers
bei dem die Leidenschaft den Vorrang hat vor der Vernunft, ist prinzipiell vertrauenswürdig. Nur ein Narr stellt die Vernunft über das Gefühl; die Sophisten halten sich zugute, sich stets von ihren Prinzipien leiten zu lassen, deshalb ist ihnen nicht zu trauen. Du hast ein Herz und besitzt auch Verstand, Cato. Setz beides mit Bedacht ein. Ich will dir sagen, was ich glaube: Lavinia wird dir bloß wehtun, in Anbetracht dessen, was ihr seid. Mehr will ich im Moment nicht sagen, lassen wir’s also dabei bewenden. Es wird nicht leicht sein, eine Begegnung zu arrangieren; bei der Armee ist nicht viel Platz für Abgeschiedenheit. Außerdem hat mein Gemahl eine recht konservative Vorstellung vom Umgang mit seinem Eigentum.«
Als der Adler und die anderen Standarten bei Tagesanbruch aus der Schatzkammer der Festung geholt wurden, stießen der Legat und die Angehörigen seines Stabes einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Soldaten waren ein abergläubisches Völkchen und deuteten jedes Problem, das sich zu Beginn eines Feldzugs mit dem Adler ergeben mochte, als schlechtes Omen. Heute aber ging alles glatt vonstatten; der Adler wurde feierlich über die Via Praetoria getragen und nahm seinen Platz bei der Fahnenwache an der Spitze der Ersten Kohorte ein. Die Bedeutung des Augenblicks war allen, die den Adler sahen, bewusst; abgesehen von kleineren Grenzscharmützeln würde die Legion zum ersten Mal seit Jahren in den Krieg ziehen. Eine erwartungsvolle Stille senkte sich auf die Festung herab, während Soldaten, Maultiertreiber und Tross auf den Marschbefehl warteten. Allein die Tiere, gegenüber den Belangen der Menschen so unempfänglich wie eh und je, regten sich; Hufe scharrten über Pflastersteine, das Geschirr klirrte, und Schwänze wedelten hin und her in der frischen Frühlingsluft.
Nachdem der Legat den Arm gesenkt hatte, warf der oberste Zenturio der Legion den Kopf in den Nacken und brüllte den Befehl.
»Erste Zenturie! Erste Kohorte! Zweite Legion! Abmarsch !«
Wohlgeordnet marschierten die rot gewandeten Reihen der Ersten Kohorte die Via Praetoria entlang, vorbei an dem gewaltigen Fuhrpark und durch das Westtor, wo die aufgehende Sonne ihre Umhänge wie Feuer erglühen ließ. Gleich hinter der Ersten Kohorte kamen die Angehörigen des Hauptquartiers, angeführt von Vespasian und den auf sorgsam gestriegelten Pferden sitzenden Tribunen.
Kohorte folgte auf Kohorte, dann nahmen die schwerfälligen Wagen die ihnen zugewiesenen Plätze in der Kolonne ein. Die letzte Kohorte, welche die Nachhut bildete, folgte dem Tross aus der Festung hinaus, dann entfernte sich das Ende der Kolonne vom Westtor und kroch die Anhöhe hinauf. Viele Einheimische aus der Siedlung blickten der Legion mit aufrichtigem Bedauern nach. Die Zweite Legion würde ihnen fehlen, teilweise auch deshalb, weil sie durch eine lediglich tausend Mann starke Hilfstruppe ersetzt werden würde, nämlich durch zwei Kohorten aus Spanien, deren schlechte Verfassung ihre Verwendung auf den Garnisonsdienst beschränkte. Da die Hilfstruppen keine Bürger des römischen Reiches waren, bekamen sie auch nur ein Drittel des Legionärssolds. Dies würde der einheimischen Wirtschaft in den nächsten Jahren schwer zu schaffen machen, und während die letzten Reihen der Legion außer Sicht verschwanden, brachen bereits die ersten Zivilisten nach Süden auf, um sich einen anderen Armeestützpunkt zu suchen, der ihr Auskommen besser sichern würde.
20
»Anhalten!« Der Befehl wurde entlang der Kolonne weitergegeben. »Gepäck absetzen!«
Die Legionäre der Sechsten Zenturie schlurften zum Straßenrand und ließen sich ins niedergetretene Gras sinken, weit genug von der Straße entfernt, damit die Boten ungehindert passieren konnten. Mit einem schweren Seufzer warf Macro sich auf den Boden und rieb sich das Bein. Nach wenigen Tagen bereits war er auf eigenen Wunsch für gesund erklärt worden. Die Wagen für die Kranken waren zwar so bequem wie möglich hergerichtet, doch das ständige Gerüttel, das einem durch und durch ging, sowie die heftigen Stöße, wenn ein Rad in ein Schlagloch einsank, waren ihm schier unerträglich gewesen. Von der langen Bettruhe geschwächt, fiel ihm das Marschieren schwer, doch die hartnäckige Entschlossenheit des Zenturios half ihm durchzuhalten. Und nun, zehn Tage später, hatte Macro seine alte Kondition beinahe wiederhergestellt. Die noch immer gerötete Narbe auf seinem Schenkel war mittlerweile recht gut verheilt, und
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