Cato 02 - Im Auftrag des Adlers
entgegnete Macro in echtem Entsetzen. Dass jemand sich eine Gelegenheit für jene prachtvollen Urlaubsbeschäftigungen entgehen lassen könnte, die sich im Legionärsleben so boten, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Er dachte eine Weile über die Angelegenheit nach. Bei jedem anderen Optio hätte es sich wahrscheinlich um eine neue Masche gehandelt, irgendwelche Rationen oder Gelder der Zenturie für sich selbst abzuzweigen. Doch Cato hatte bei der Buchführung der Zenturie bisher eine bedauerliche Integrität bewiesen. In seinen wohlwollenderen Momenten ging Macro davon aus, dass Cato seine ausgeprägte Intelligenz wohl auf eine bis dahin übersehene Möglichkeit der persönlichen Bereicherung richtete. In seinen weniger wohlwollenden Momenten schob er die Gewissenhaftigkeit des Jungen auf seine Jugend und fehlende Erfahrung mit dem Armeeleben, was sich im Laufe der Zeit schon geben würde. Doch hier stand Cato nun also, verging sich an seinem Status der Pflichtbefreiung und bat tatsächlich um Arbeit.
»Na, dann lass mich mal nachdenken«, meinte Macro. »Der Abschluss der Gefallenenkonten muss noch gemacht werden. Wie steht es damit?«
»Bestens, Herr. Ich fange gleich damit an.«
Unter den verwirrten Blicken des Zenturios stemmte Cato den Deckel der Buchführungstruhe der Zenturie auf und holte alle Kontounterlagen und Testamente der beim letzten Truppenstärkebericht als »gefallen« gemeldeten Männer heraus. Bevor ein Testament für rechtsgültig erklärt werden konnte, musste das angesparte Guthaben im Konto eines jeden Toten mit den noch nicht abgerechneten, persönlich zu zahlenden Ausrüstungsgegenständen verrechnet werden. Der Nettobetrag wurde als Vermögen des Legionärs dann entsprechend der testamentarischen Verfügung aufgeteilt. Wenn weder ein schriftlicher noch ein mündlicher letzter Wille existierte, hätte das Vermögen genau genommen an den ältesten männlichen Verwandten übergeben werden müssen. Doch in der Praxis behaupteten die meisten Zenturionen in einem solchen Fall, der Mann habe sein Testament mündlich gemacht und seine weltlichen Güter dem Bestattungsfonds der Einheit vermacht. Während eines Feldzugs waren solche zusätzlichen Einnahmen erforderlich, um die benötigte große Zahl von Gedächtnissteinen zu finanzieren. Die wachsende Nachfrage ließ die Preise steigen, und die Trauer, die die Steinmetze der Legion angesichts des Todes ihrer Kameraden empfanden, wurde in einem gewissen Maße durch die hübschen Sümmchen gemildert, die sie für das Behauen der Grabsteine erhielten.
Im Schatten des Vordachs vom Zelt des Zenturios saß Cato still da, ließ den Finger von Posten zu Posten wandern, zählte im Geiste die Passiva zusammen und zog sie vom Gesamtguthaben ab. Bei vielen der Toten war die Bilanz zwischen Schulden und Erspartem negativ, da es sich bei den Gefallenen oft um frisch Rekrutierte handelte, die nun einmal eher den Tod fanden als erfahrene Veteranen. Die meisten Namen bedeuteten Cato wenig, doch einige sprangen ihm ins Auge und brachten eine Woge der Traurigkeit mit sich: Pyrax, der gelassene Veteran, der Cato bei seinem Eintreffen in der Kaserne die ersten Schritte erleichtert hatte; Harmon, ein schwerfälliger Schrank von Mann, der seine Kameraden mit Imitationen des Viehzeugs auf einem Bauernhof und mit ohrenbetäubenden Furzkonzerten zum Lachen brachte (Letzteres war vielleicht kein großer Verlust für die Zivilisation, sagte Cato sich nach einigem Nachdenken). Sie alle waren Männer wie er selbst gewesen, vor kurzem noch lebendige, atmende, lachende Menschen mit all ihren Fehlern und Tugenden. Männer, an deren Seite er seit Monaten marschiert war, Männer, die einander besser kannten als die meisten ihre Familie. Jetzt waren sie tot, und ihre reiche Lebenserfahrung reduziert auf die Zahlenreihen einer Bilanzrolle und ein paar persönliche Dinge, die ihr Erbe darstellten.
Catos Griffel verharrte unsicher zitternd über einem Wachstäfelchen. Er erinnerte sich an die Worte, dass der Tod während seiner Laufbahn in der Armee sein steter Begleiter sein würde. Damals hatte er gemeint, durchaus zu verstehen, was das bedeutete, jetzt aber wusste er, dass zwischen den sauberen Sätzen der Theorie und der schmutzigen Wirklichkeit des Krieges eine tiefe Kluft existierte.
In den Tagen seiner Genesung hatte er feststellen müssen, dass er nicht leicht in einen normalen Schlaf fand. Er lag dann im Zelt seiner Schlafgemeinschaft, die Augen geschlossen, innerlich
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