Cato 09 - Gladiator
immer mehr Felsen sichtbar. Es hatte den Anschein, als wäre das Wasser in Ufernähe von einer Gezeitenströmung fortgesaugt worden, so dass das blanke Riff und sogar die gekappten Aufbauten eines alten Wracks zum Vorschein kamen. Der Anblick verblüffte ihn, dann veranlasste ihn ein angstvoller Ruf eines Seemanns, wieder zur Flutwelle hinüberzublicken. Inzwischen konnten alle an Deck sie sehen. Ein gewaltiges dunkles Monster mit einer weißen Schaumkrone rollte wie eine Wand aus Glas geradewegs auf die Horus zu. Davor leuchteten die kleinen Flügel einer Seemöwe in der Abenddämmerung, dann verlor sich der Vogel im Schatten der Woge.
»Cato!«
Er wandte sich zu Julia um, die sich vergeblich bemühte, seine Hand zu ergreifen. Cato wusste, dass er keine Zeit mehr hatte, sich festzubinden. Für ihn war es zu spät. Er ließ sich aufs Deck sinken und zwängte sich zwischen Macro und Julia, legte die Arme um ihre Schultern. Der von achtern kommende schwache Wind legte sich, das Segel sackte zusammen wie welke Haut, dann blähte es sich auf einmal im Windschwall, den die Flutwelle vor sich herschob. Die gewaltige Wasserwand ragte unmittelbar vor dem Schiff auf, höher als der Mast, und Cato verkrampfte sich am ganzen Leib, biss die Zähne zusammen und blickte dem anrollenden Ungeheuer entgegen.
Das Deck schlingerte plötzlich, als der Bug hochstieg, und die Luft war erfüllt von Schreien und Wehgeheul und dem Tosen der an der Horus vorbeirasenden Fluten. Die am Fuße des Masts Versammelten klammerten sich aneinander, als das Deck sich nahezu hochkant stellte, während sich über dem Schiff ein Wasserberg aufbaute, der es geradezu zwergenhaft klein erscheinen ließ. Einen Moment lang war Cato wie gelähmt von Demut und Ehrfurcht angesichts dieser über dem Schiff dräuenden Erscheinung und starrte staunend zur Schaumkrone der Flutwelle hoch. Dann verlor einer der Seeleute den Halt, stürzte laut schreiend ab und prallte mit dem Kopf gegen den Lukendeckel.
In diesem Moment verlor die Horus den kurzen Kampf mit der Woge und rutschte zurück. Eine Wasserflut brach über dem Schiff und knickte den Mast zehn Fuß über den daran festgebundenen Römern. Bevor die schwarze Sintflut aufs Deck niederkrachte, brüllte Macro der Woge ein trotziges »Leck mich!« entgegen.
Dann stürzte das Meer auf sie herunter, und Cato prallte heftig mit dem Kopf gegen den Mast. Als er den Mund aufriss, um zu schreien, wurde Salzwasser hineingedrückt. Eine große Kraft zog an ihm, zerrte ihn von den anderen weg. Er klammerte sich am Seil fest, das Julia mit dem Mast verband, krallte die Finger mit aller Kraft in Macros Schulter. Als das Schiff durchkenterte, verlor er vollkommen die Orientierung, in den Ohren das Tosen und Grollen des brodelnden Wassers. Etwas prallte gegen ihn, dann wurde es herumgerissen und zerrte an ihm, offenbar einer der Seeleute. Finger krallten sich in sein Gesicht und rissen an seiner Wange. Cato, der um seine Augen fürchtete, ließ Macro los und wehrte sich, stieß den Mann von sich weg. Ein weiterer Wasserschwall brach über ihn und den Seemann herein, trennte sie vom Maststumpf und riss sie in die Dunkelheit fort. Dann war der Mann weg, und Cato, der den Mund fest geschlossen hatte und den Atem anhielt, wurde wieder und wieder herumgewirbelt. Als er das Brennen in seiner Brust nicht mehr aushielt, öffnete er den Mund. Salzwasser drang ihm in Hals und Lunge und drohte ihn zu ersticken, und da war er sicher, dass er sterben würde.
Die Flutwelle wanderte weiter und ließ einen brodelnden Malstrom hinter sich zurück. Der Rumpf des Handelsschiffs tauchte inmitten von Luftblasen und Gischt an die Oberfläche und lag einen Moment lang glitzernd im verblassenden Abendlicht da, dann drehte er sich langsam. Als erst die Reling und dann das Deck auftauchten, war von den Aufbauten nicht mehr viel übrig. Der ägyptische Gott, der als Galionsfigur gedient hatte, war abgerissen worden, zurückgeblieben war ein zersplitterter Stumpf. Der Mast, das Segel, ja die gesamte Takelage waren fortgespült worden, die Steuerruder waren verschwunden und hatten den Kapitän und den Steuermann mit sich fortgerissen. Als das Wasser sich über dem Deck teilte und durch die Speigatten abfloss, schwankte die Horus , als wollte sie erneut durchkentern. Im letzten Moment aber hielt sie inne, rollte zurück und kam tief im Wasser zu liegen, ein treibendes Wrack, das einmal ein stolzes Schiff gewesen war. Ringsumher schwammen die Überreste
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