Catwalk in den Tod
Zeitungsschnipsel, den sie mir zugesteckt hatte.
»Sie glauben, dass sie aus dieser mexikanischen Stadt stammte?«
»Vielleicht alles reiner Zufall und sie stammt in Wirklichkeit aus Barcelona, ist schwimmen gegangen, verheddert sich an einer Schaufensterpuppe und zack.«
Frederik Crohn malt Kreise auf einen Zettel vor sich.
»Mexiko. Das würde zumindest ihre fehlende Identität erklären.«
»Und dann sind da noch die Kinder. Wieso spielt mir jemand eine CD mit diesen Fotos zu? Könnte Höhler gewesen sein.«
»Und warum?«
»Vielleicht denkt er, er wird mich los, wenn ich als Kinderschänder dastehe.«
»Passt nicht. Wenn die dort tatsächlich eine Pornoproduktion betreiben, dann würde er sich zurückhalten.«
Auch meine Pfirsichblüte hatte die Möglichkeit, die CD neben meinen Stuhl fallen zu lassen. Aber warum sollte sie?
Ist Pfirsichblüte womöglich gar keine Pfirsichblüte, sondern ein fauler Apfel?
Kommissar Crohn wandert um seinen Schreibtisch.
»Also gut. Wir folgen dieser Schaufensterpuppe und landen in der Modebranche. Besuchen ein Fest, und plötzlich tauchen dort die Kinder auf, die Sie mit der Toten gesehen haben wollen. Die Tote stammt aus Südamerika …«
»Mexiko.«
»Schön, Mexiko. Vielleicht hat sie ganz normal als Model gearbeitet.«
»Zu klein.«
»Mein Gott, es gibt Handmodelle, Haarmodelle, weiß der Teufel, was diese Typen alles brauchen!«
»Wenn sie eine dieser verschleppten Frauen ist, dann hat sie mit einer ganz anderen Darbietung vor der Kamera gestanden.«
»Aber warum wird sie umgebracht?«, sagt Crohn. »Man fliegt sie illegal nach Deutschland ein und bringt sie dann um? Die schicken sie in der Regel weiter. In irgendein anderes Land. Osteuropa, vielleicht. Diese Frauen sind wertvoll.«
»Vielleicht wollte sie zur Polizei?«
Crohn schüttelt den Kopf.
»Wissen Sie, was passiert, wenn diese Frauen in ihre Familien zurückkehren? Die sind ein Leben lang gezeichnet. Die können nur reich zurück oder mit einem Mann. Oder gar nicht. Das ist ja der Trick, mit dem diese verdammten Zuhälter arbeiten. Das sind die Versprechungen. Du bekommst viel Geld, du wirst einen deutschen Mann heiraten ... immer das Gleiche.«
Crohn setzt sich wieder an seinen Schreibtisch und trommelt darauf herum.
»Noch etwas passt nicht.«
Er sieht mich scharf an.
»Warum sollte sie Ihnen Geld geben? Sie haben doch gesagt, dieser Zeitungsschnipsel sei mit einem Geldstück in ihre Tasche gelangt.«
»Ist mein Beruf. Die Leute müssen ab und an, was Gutes tun.«
»Sie betteln!«
»Ich arbeite.«
»Sie betteln für einen guten Zweck?«
»Ich arbeite.«
»Na, schön. Und was ist das?« Crohn deutet auf die CD.
»Wieso jubelt ausgerechnet Ihnen jemand das unter?«
»Vielleicht pocht das schlechte Gewissen von Höhler, vielleicht hat sie jemand anders dorthin gepackt? Möglich, dass einer aussteigen will. Keine Ahnung.«
Crohn zieht eine Schublade auf und fischt eine Mappe heraus. Schon wieder Fotos.
Das Ganze sieht aus wie ein Verkaufsprospekt für Tiefkühltaschen. Eine der mit einem roten Kreuz gekennzeichneten Boxen ist geöffnet. Zu erkennen ist eine braune Masse, die in einer Flüssigkeit schwimmt.
»Was haben Ihre Wochenendeinkäufe damit zu tun?«
»Das ist die Leber eines sechsjährigen Mädchens. Unbekannte Herkunft. Haben wir im Gepäckraum eines Privatjets sichergestellt. In Fuhlsbüttel.«
Manchmal bin ich wirklich froh, dass ich so selten Zeitung lese. Aber wenn ich mich daran erinnere, womit ich mich manchmal so zudecke, wird mir ganz kalt auf dem Rücken.
«Wenn die Kinder >verbrannt< sind, gibt es immer noch die Möglichkeit sie als Organspender zu benutzen.«
»Also müssen wir uns beeilen?«
Crohn nickt.
»Und was halten Sie von dieser Chinesin?«
*
Der Kommissar lässt mich unter der Bedingung frei, ihn auf dem Laufenden zu halten. Nur, dass ich im Hauptberuf obdachlos bin, nimmt er mir nicht ab. Dass ich keinen festen Wohnsitz hätte, na schön, das komme vor, aber obdachlos? Nein, er vermute, dahinter stecke etwas »Religiöses.« Meinetwegen.
Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Hält mich womöglich für so eine Art Diogenes, dem man die Tonne geklaut hat. Dabei sind Tonnen völlig unpraktisch, da werfen die Leute während deiner Abwesenheit nur ihren Müll rein. Trotzdem ist es schön, wenn Menschen sich Geschichten erzählen.
Geschichten sind selten geworden. Haben sich aus dem Alltag auf und davon gemacht. Kein Wunder, bei
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