Catwalk in den Tod
dieser Hetze nach Geld und Anerkennung, nach dem großen Auto und einer großen Wohnung und »hoffentlich werde ich nicht gekündigt«.
In dem Laufrad wird den Geschichten ganz schwindlig. Die Leute, die sie erzählen könnten, sind ein klein bisschen glücklich, weil sie was geschafft haben. Und im nächsten Augenblick sofort unglücklich, weil sie Angst haben, das wieder zu verlieren. Und hast du erstmal Angst, glaubst du immer, du hast zu wenig, wirst erniedrigt, schlecht behandelt und müsstest es ganz entschieden besser haben. Und dann, dann verabschieden sich all die Geschichten. Ist ihnen zu eng geworden im Kopf. Dabei hat der Kosmos die Karten ausgeteilt und manchmal, aber nur ganz selten darf man ein paar tauschen. Ist so eine Art intergalaktisches Poker. Nur, dass hier die neuen Karten nicht gekauft werden können.
Nee, das neue Blatt kannst du nicht erbetteln und erflehen, das wird dir einfach auf den Tisch gelegt. Oder eben auf die Decke. Wenn es Zeit dafür ist. Für mich sorgt mein angebeulter Penner-Stern. Und für Maria? Für sie ist diese Partie zu Ende. Auf in die nächste Runde.
Sheila heißt mit Nachnamen nicht etwa Li oder Dao oder Hanoi oder Wundersame Nadel, nein, sie heißt Weber.
Auch an ihr haben die Flohmarkhändler oder Leiter von Karstadts Haus-Heim-Deko-Abteilung keine rechte Freude. Weiße Behandlungsliege, weißer Tisch, weißes Schränkchen. An der Wand ein Plakat mit einem nackten Menschen und lauter fiesen Linien in seinem Körper. Auf dem Tisch versprüht eine Bananenblüte ihr orangefarbenes Leuchten.
»Ich habe Sie warten lassen«, sagt Sheila und verneigt sich leicht. Der Schnitt ihres Kittels hat Ähnlichkeit mit meinem Omen-Mantel.
»Sie müssen keine Angst haben«, sagt sie.
»Sollte ich?«
»Ein wenig kann nicht schaden. Umso leichter fließt später ihre Lebensenergie, das Qi. Die hüpft dann richtig vor Freude. Wie bei einem Stausee, wenn man die Fluttore öffnet.«
»Und wenn sich Frau Qi vor lauter Freude gar nicht ins Freie traut?«
Pfirsichblüte lächelt und schreitet zur Tat.
Mit ihrem Rücken deckt sie ein Schränkchen ab und dreht sich dann mit einem Glas voller glänzender Nadeln um.
»Um Himmelswillen. Alle?«
Während Sie mir die Nadeln in den Körper dreht, passiert etwas Eigenartiges. Nämlich gar nichts. Nichts zu spüren, außer ihrer angenehm warmen Handfläche.
»Sie sind kein Modelscout«, sagt sie.
»Und Sie kein Model.«
»Ein kleines Zubrot. Die Praxis läuft schlecht. Die Leute halten ihr Geld zusammen.«
»Hier in Pöseldorf?«
«Besonders hier. Wissen Sie, was sich meine Nachbarn am meisten wünschen?«
»Freien Blick auf die Alster? Eine Motorjacht vor dem Alsterpavillon?«
»Einen Aldi- oder Lidl-Markt in der Nähe und direkt daneben ein paar Delikatessengeschäfte.«
»Seltsame Wünsche.«
»Na ja, man spart Geld beim alltäglichen Einkauf und dafür gönnt man sich dann etwas Besonderes. Wegen dem Lebensgefühl.«
Pfirsichblüte nadelt meinen Hals entlang.
»Was immer Sie in der Agentur machen, seien sie vorsichtig«, sagt sie und ihrer Stimme ist nicht anzumerken, ob es Besorgnis ist oder eine Warnung.
Plötzlich ein stechender Schmerz. Ich habe das Gefühl, als hätte sie mich direkt zwischen den Schulterblättern gepfählt.
»Oh, Entschuldigung. Da muss ich wohl einen Nerv getroffen haben«, sagt sie.
Sie kichert und bittet mich, ein paar Minuten liegen zu bleiben. Ein angenehm warmer Strom fließt durch meinen Körper. Frau Qi tanzt. Selbst die Faust, die mich seit dem Beginn meiner Maskerade im Nacken gepackt hält, lockert ganz langsam ihren Griff. Bei Verspannungen gehe ich ja sonst immer runter in die U-Bahn-Stationen am Hauptbahnhof.
Da gibt es für uns Penner klassische Musik zur Entspannung. Ganz umsonst. Ein bisschen Kultur an der richtigen Stelle kann dein Leben verändern. Fehlt nur noch ein Schauspielhaus-Obdachlosen-Rabatt. Dafür würde ich sogar Programmhefte verkaufen. Und vorher duschen.
Sheila macht ihrem chinesischen Aussehen alle Ehre. Sie ist nicht gerade leicht einzuschätzen. Hält Sie mich für einen Polizisten? Oder einen Privatdetektiv? Oder einfach nur für einen armen Idioten, der gerade im Begriff ist, in sein Unglück zu rennen? Und was spielt sie für eine Rolle? Ist sie eine von den Guten oder von den Bösen?
Frau Qi hilft mir auf die Beine. Irgendwie hat sich die Erdgravitation verändert. Ich bin ein paar Kilo leichter.
In ihrem Schreibtisch liegen Briefe von einer
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