Catwalk in den Tod
zwingt dich zu Extrastunden im Fitnessstudio, zu schier endlosen Wochen bei Wasser und Knäcke. Der nächste Bissen kann schon der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und zack ... weg ist der neue Job. Vergeben an eine sympathische Konkurrentin, die im entscheidenden Augenblick standhafter war.
An einer Säule lehnt ein Mann, der nicht hierher gehört. An seinem Ellenbogen leuchten blanke Stellen. Sein Jackett ist gut gemeint. Zumindest war es das vor zwanzig Jahren. Die Schuhe haben sich einen friedlichen Lebensabend redlich verdient und sein Hemd würde selbst der Rot-Kreuz-Container zurückweisen.
Und dann fällt es mir wieder ein. Den Mann habe ich an der Alster gesehen. Einer der Kriminalbeamten.
Omen hat den richtigen Riecher gehabt.
Aus den Boxen hämmern Technorhythmen und auf der Bühne tanzen attraktive Männer mit attraktiven Frauen. Ricky Martin hat sich die Schuhe ausgezogen und versucht es auf Socken. Und Nicole Kidman aus Wandsbek streift immer wieder ihren Träger hoch. Dass Ganze wirkt wie das Casting zu einer Doppelgänger-Show.
»Na, dann erfolgreiche Jagd«, sagt eine Stimme neben mir. Der Mann ist vielleicht Mitte dreißig und sieht in seinem grauen Anzug aus, als wäre er der Chef im Ring. Zumindest aber wie jemand, der die Eintrittskarten hat drucken lassen.
»Habe ich so etwas wie ein Schild auf dem Rücken?«, frage ich.
»Tut mir leid, aber ich muss immer wissen, was läuft. Ihr Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben. Sie sind nicht der erste Scout, der sich zu uns verirrt.«
Er streckt mir die Hand entgegen und sagt: »Tom Höhler«.
Dutzende von Augenpaaren streifen uns. Mein Rücken fühlt sich an, als hätte ich Nesselfieber. »So-Fort« ist bei der Arbeit. Vielleicht hab ich auch eine Allergie gegen das neue Hemd. An die Zivilisation muss der Mensch sich ja erstmal gewöhnen.
»Wenn ich Ihnen helfen kann? Schließlich haben wir ja auch etwas davon«, sagt Höhler.
Lauter freundliche Menschen in diesem Universum.
Höhler streckt mir seine Visitenkarte entgegen.
»Sie müssen uns mal in unserem Studio besuchen«, sagt er.
»Und wen haben wir hier Nettes?« Die sonore Stimme weht von hinten an mein Ohr. Höhler zuckt zusammen.
»Tomtom, willst du mich nicht vorstellen?«
Der Mann trägt ein ledernes Jackett und darunter ein orangefarbenes Hemd. Wir passen gut zusammen. Nur, dass sein Rotkreuz-Container mit einer Lichterkette geschmückt sein muss. Gestraffte fünfzig, vielleicht sechzig Jahre alt. Wer kann das heutzutage noch sagen? Die Haare sind ordentlich auf gerade überstandenen Sturm gestylt. Die Augen flackern ein wenig, sehen mich aber offen und freundlich an.
»Guten Abend. Gaatz mein Name.«
Kein Zweifel, hier haben wir wirklich den Mann, der die Eintrittskarten in Auftrag gegeben hat.
»Janek Omen.«
»Dann sind wir ja Kollegen, ich bewundere Ihren Schnitt«, sagt er und lacht über seinen Scherz.
»Amüsieren Sie sich gut. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.«
Der Mann ist von einer Minute auf die andere wieder angespannt wie ein Araberhengst, dem der Jockey einen Tauchsieder in den Hintern geschoben hat und jetzt den Stecker zeigt.
»Und ist meine Mutter schon da?«, fragt er Tomtom.
»Ich denke, wir können gleich mit der Bühnenshow beginnen.«
»Ja, nur keine Langweile«, sagt der Modezar und sieht mich plötzlich an, als könne er sich nicht mehr an mich erinnern.
Er hebt sachte die Hand und tatsächlich schwebt eine Chinesin herbei.
»Sheila, würdest du so lieb sein und dich um unseren Gast kümmern? Sie entschuldigen mich?«
Zusammen mit Höhler rauscht er davon.
»Tut mir leid, aber wenn er neue Schnitte zeigt, ist er immer ein wenig … naja.«
»Kann ich verstehen, ich bin auch immer nervös, wenn ...«
»Ja, wenn man sich unter Verrückte begibt«, sagt die Chinesin, die tatsächlich nach Pfirsichblüten duftet.
»Offene Worte. Für eine Truppenbetreuerin.«
»Um Gotteswillen, ich verdiene mir ein paar Euro dazu, indem ich so tue, als würde ich geistreiche Gespräche führen.«
Sie nickt. Ich nicke. Sie beugt sich vor und flüstert: »Ich hab nämlich tatsächlich eine Schule besucht.«
Gaatz grüßt in die Menge und begibt sich an einen Stehtisch. Niemand traut sich in seine Nähe und irgendwie wünsche ich mir, dass jetzt seine Mutter kommt und ihn in die Arme nimmt.
Was hatte Maria mit all diesen Leuten zu schaffen? Mit ihren höchstens einssechzig verfügte sie jedenfalls nicht über Model-Gardemaß. Oder war
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