Catwalk in den Tod
auf dem Dach vom Interconti stehen und die blicken mit ihren kleinen Augen in den Himmel und versuchen, die Alu-Kugel rauf zu werfen.
Das Gehirn legt schon merkwürdige Filme in den Projektor.
Beim sechsten Altpapiercontainer hab ich Glück. Fein säuberlich steht daneben ein Stapel mit alten Ausgaben des Hamburger Abendblatts. Wenn man so bedenkt, was gestern noch wichtig war und heute nur noch als Müll an der Straße steht! Ist mein Glück. Dauert dann aber doch eine Stunde, bis ich den passenden Artikel zu dem Papierfetzen, den Maria mir zugesteckt hat, in den Händen halte. Ich nenn dich Maria, denn wenn du schon sterben musstest, meine Prinzessin mit den lachenden Augen, dann sollst du doch wenigstens einen Namen haben. Schon von wegen der Erinnerung.
»Diese Sauerei räumen Sie aber wieder zusammen«, sagt ein Mann zu mir und richtet seinen Krückstock gegen meine Brust.
»Gehört Ihnen das eigentlich?«
»So eine Zeitung kann Leben retten.«
»Unsinn, das ist Eigentum der Stadtreinigung. Und bei mutwilliger Zerstörung ...«
Wenigstens hat er mich nicht Penner genannt. Meine Verkleidung scheint zu gefallen.
»Das ist eine Ermittlung«, sage ich.
Der Mann lässt seinen Knüppel sinken und zieht, wüste Verwünschungen vor sich hin brabbelnd, ab. Glaubt wahrscheinlich, dass ich Polizist bin und jetzt hat er Angst, dass ich seinen Rentenbescheid noch mal genau unter die Lupe nehme.
Am Wasser fällt mir immer besonders viel ein. Weiß auch nicht, warum sich die Gedanken immer da rumtreiben. Also spaziere ich durch die Rabenstraße rüber zur Alster. Kein Felsen weit und breit und auch keine Steilküste, das Café heißt trotzdem Cliff. Während ich auf meinen Tee warte, zieht ein Boot vorbei. Der Skipper versucht, eine der lustlosen Böen zu erwischen, die das Segel tatsächlich ab und an für einen Moment aufblähen und dann jäh wieder in sich zusammenfallen lassen.
Die hübschen jungen Mütter an den Nebentischen nehmen keine Notiz von mir. Sie schlürfen Latte macchiato, »aber bitte aus dem Glas«, und schaukeln die Kinderwagen, während sie einander aufregende Dinge aus ihrem aufregenden Leben erzählen. Und wenn niemand neben ihnen sitzt, dann erzählen sie die gleichen aufregenden Dinge in ihr Handy und wippen dabei ihre Kinderwagen. Würde mich ja nicht wundern, wenn mal so ein kleiner Pups bei all der Schaukelei sein Köpfchen aus dem Wagen streckte, um voller Inbrunst auf den Boden zu kotzen. Kann man direkt drauf warten. Irgendwann muss es passieren.
Was ich in dem Zeitungsartikel lese, ist weniger komisch.
»Die Stadt der weinenden Mütter«, ist der Artikel überschrieben und berichtet von der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez, in der 300 junge Frauen ermordet wurden und weitere 500 vermisst werden.
Die Behörden scheinen sich nicht weiter darum zu kümmern, doch immer wieder werden Leichen gefunden und jede Woche verschwinden junge Frauen.
Die wenigen Ermittlungen seien im Sande verlaufen und die Gerüchte ins Kraut geschossen. Von Mädchenhandel, Verschleppungen und organisiertem Verbrechen ist die Rede. Von Gangstersyndikaten in den USA und Mexiko und internationalen Schlepperbanden.
Kommst du aus Ciudad Juarez, Maria? Hat man dir dort das Taufkleidchen angepasst und dich fein herausgeputzt zur Schule geschickt? Hast du dort von der Familie geträumt, die du später einmal gründen wolltest? Aber was um Himmelswillen hat dich nach Hamburg verschlagen?
Auf der Wiese tollen zwei Hunde mit einem Tennisball. Jogger ziehen ihre Runden um die Alster.
»Tasso, nicht durch die Pfütze«, schreit eine junge Frau und meint ihren Labrador. Ein paar Kinder haben sich mit Pullovern drüben auf der Wiese zwei Tore markiert. Einer der Jungen rutscht der Länge nach über das Grün. Er rappelt sich auf und prüft begeistert seine Kleidung. Dann schüttelt er den Kopf, als wollte er sagen: »Nichts mehr zu machen.«
Ja, mein Kleiner, wer weiß schon, ob du da nicht den neuen Stil für die nächste Wintersaison kreiert hast? Mal sehen, was sich machen lässt.
Omen gehört jetzt zu den schicken Kreativen und auch Omen schlittert. In eine neue Welt.
*
»Ein Glas Champagner?«
Die hochbeinige Blondine lächelt mir zu, als hätte sich tatsächlich gerade der Generaleinkäufer von Gucci vorgestellt.
»Perrier«, sage ich, denn so etwas sagt man, wenn man in dieser Umgebung keinen Alkohol will. Man kann auch »ein Wasser« sagen. Geht alles, nur »Selter« darf man nicht sagen. Hat was
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