Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
ließ Drusillus eine kleine Einheit der Legionäre ausschwärmen. Sie sammelten die Waffen ein und töteten alle zurückgebliebenen feindlichen Verwundeten. Nach ihrer Rückkehr berichteten sie, dass sie hundertzweiundsiebzig Tote und einundneunzig zurückgelassene Verwundete gezählt hatten.
„Unsere Verluste?“, fragte Lucius Celsonius und Ambiorix.
Selbst Letzterer schien erschöpft zu sein, ein Zustand, den Lucius von dem Kelten nicht kannte.
„Acht tote Legionäre und vierzehn tote Allobroger. Fünf werden noch folgen. Neun Legionäre und dreizehn Allobroger sind schwer verwundet. Wer von diesen überlebt, wird möglicherweise für immer ein Krüppel sein. Elf und siebzehn sind so schwer verwundet, dass sie vorübergehend keinen Dienst tun können.“
„Da bleibt nicht einmal eine halbe Centurie übrig?“, fragte Lucius erschrocken.
Drusillus nickte: „Für die nächste Zeit ist diese Einheit nicht einsatzfähig!“
Drusillus’ Blick war finster. Sie waren erst am Beginn des Feldzuges, und schon fiel ihre Einheit aus.
„Ich gehe und melde es Sabinus!“, verkündete Lucius. „Drusillus und Ambiorix, ihr bereitet alles für die Bestattungsrituale vor!“
Der Tribun Quintus Poppaeus Sabinus war siebenundzwanzig Jahre alt. Sein Vater hatte ihm geraten, einige Jahre bei der Legion zu verbringen, da das seiner weiteren Karriere nur nützlich sein konnte. Er diente jetzt seit drei Jahren bei der XIX Augusta, war aber noch nicht in viele Kämpfe verwickelt gewesen. Trotzdem fühlte er sich schon erfahren. Erfahren genug, um wegen des sonderbaren Gebarens eines Centurios, der hektisch den Berg hinunterlief, nicht in Unruhe zu geraten. Bei jedem anderen Centurio hätte er sich Gedanken gemacht, weil er gewusst hätte, dass die Aufregung berechtigt sein musste. Aber von Vitellius, seinem ersten Speercenturio, wusste er, dass Centurio Marcellus sich die Stellung als Centurio nicht verdient, sondern durch seine Beziehungen bekommen hatte. Nun waren Beziehungen an sich eine gute Sache, aber Marcellus’ Vater war ein gewöhnlicher Mann aus der dritten oder vierten Klasse, durch Kriegsbeute und Geldgeschenke zum Ritter aufgestiegen. Nur deshalb durfte sein Sohn jetzt Centurio spielen. Sabinus war sich daher sicher, dass hinter der ganzen Aufregung nichts Weltbewegendes steckte. Wahrscheinlich hatte Marcellus durch das kleine Scharmützel mit den Barbaren heute Nacht die Fassung verloren. Sabinus stellte sich in die klassische Pose, einen Fuß auf einen Stein gestellt, die Arme auf dem Rücken, und wartete stoisch.
Dann kam der Centurio ins Lager gepoltert. Er blutete aus einem Kratzer am Arm, seine Augen waren geschwollen und sein Gesicht war mit einer dicken Dreckschicht bedeckt. Seine ganze Erscheinung war so ramponiert, als wäre Hannibal mit seinen Elefanten über ihn hinweggetrampelt.
Er hätte sich wenigstens waschen können, dachte Sabinus abschätzig.
Der Centurio grüßte und sprudelte seine Meldung hervor.
Aha, dachte Sabinus, wie ich es mir gedacht hatte, ein Angriff der Barbaren, und schon hat er die Fassung verloren.
Er hörte kaum richtig hin, drei bis vier Manipel stark und zwei Angriffe, das bekam er noch mit, während er wartete, dass dieses Gestammel endlich ein Ende nahm.
Keine Spur von Haltung und
dignitas
, dachte er bei sich. Ein Mann von Adel wäre nie so aufgeregt herumgehüpft und hätte nicht so hastig und wirr gesprochen. Seine Erziehung und die richtige Abstammung hätten dafür gesorgt, dass er würdevoll und angemessen geredet und gehandelt hätte.
„Centurio!“ Ruhig, laut und bestimmt, wie seine Rhetoriklehrer es ihm beigebracht hatten, ergriff Sabinus das Wort. „Centurio, du gibst den Männern ein schlechtes Beispiel. Wegen ein paar Barbaren verbreitest du Hektik und Unruhe unter den Legionären. Sie sind wohl kaum eine Gefahr, da sie sich bereits wieder zurückziehen. Also sei beim nächsten Mal besonnener und ruhiger. Jetzt gehe wieder auf deinen Posten zurück und halte die Stellung!“
Er sah nach Zustimmung heischend Vitellius an, der neben ihn getreten war. Der schaute äußerst erstaunt zurück. Sabinus’ Gelassenheit geriet ein wenig ins Wanken. Was glotzte Vitellius so blöd? Er blickte zu Marcellus, der fassungslos und erschrocken wirkte.
„Tribun?“, fragte er ihn entgeistert. „Meine Centurie hat die Hälfte ihrer Männer verloren, und damit soll ich die Stellung halten? Dann kann ich ja gleich dem Feind eine Einladung schicken!“
Jetzt war
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