Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
Sabinus vollkommen verwirrt. Die Hälfte der Männer verloren? Wovon sprach er da?
Lucius, dem die hochmütige Miene des Tribuns zuvor natürlich nicht entgangen war, begriff. Anscheinend hatte Sabinus es gar nicht erst für nötig gehalten, ihm zuzuhören. Also wiederholte er langsam und geduldig seine Meldung und sah mit einer gewissen Genugtuung, wie Sabinus’ Hochmut bröckelte und endlich ernster Besorgnis wich.
Lucius lag in seinem Zelt und lauschte den Nachtgeräuschen. Am Anfang waren sie ihm alle fremd gewesen, die Geräusche der Natur, der Tiere, aber jetzt waren sie ihm vertraut. Er drehte sich auf die andere Seite, um endlich einzuschlafen, aber sein Kopf war so voll mit Gedanken, dass es ihm nicht gelingen wollte. Plötzlich brach ein fürchterliches Getöse los. Er griff nach seinem Schwert und wollte aus dem Zelt. Verdammt, warum konnte er das Schwert und den Schild nicht festhalten? Immer wieder rutschen sie ihm aus den Händen. Draußen im Lager waren Kampf- und Schmerzensschreie zu hören, Waffen klirrten und Befehle wurden gebrüllt, und er war im Zelt und bekam seine Waffen nicht gepackt. Schließlich ließ er den Schild liegen und krabbelte unbewaffnet aus dem Zelt. Vor dem Zelt standen Drusillus, Mallius, Celsonius und viele andere und warteten auf ihn. Ihre Gesichter waren voller Panik und sie redeten wirr durcheinander. Kaum hatten sie ihn gesehen, stürzten sie auf ihn los. „Wir wurden überfallen, die Barbaren sind im Lager. Deine Befehle, Marcellus, was sollen wir tun? Deine Befehle, was hast du für Befehle?“, schrien sie durcheinander. „Gib uns Befehle! TU DOCH WAS!“ Dabei packten sie ihn an Armen und Schultern und zerrten ihn hin und her. Lucius konnte keinen klaren Gedanken fassen. Befehle, sagte er sich, du musst Befehle erteilen! Sei ruhig, gerate nicht in Panik! Die Angst der anderen steigerte sich zur Raserei und sie zerrten so stark an ihm, dass er zu Boden fiel
.
„Du wolltest vor Ende der letzten Wache geweckt werden!“, brummte Drusillus und ließ seinen Arm los.
Publius Quintilicius Varus folgte mit wachsendem Unmut dem Bericht des Tribuns. Sabinus berichtete von dem nächtlichen Angriff der Barbaren. Ein Teil der Angreifer war aufgerieben worden, der Rest hatte sich ergeben. Hohe Verluste hatten die Einheit geschwächt.
Varus hatte der Flucht der Barbaren einen Riegel vorschieben wollen, was ihm auch gelungen war. Aber dieser Tropf von einem Tribun hatte seine Einheit so zersplittert, dass eine Centurie fast vollständig ausgefallen war. Die Centurie unter dem jungen Centurio hatte sich gut gehalten, aber fast die Hälfte seiner Männer war nun kampfunfähig oder tot. Bei einem Kontingent der Hilfstruppen hatte es ebenfalls große Verluste gegeben. Dies alles hatten sie der tollen Strategie des Tribuns zu verdanken. Und diese war tatsächlich noch vom
Pilus prior
unterstützt worden. Diese verdammten Berufssoldaten mit ihrem überheblichen Stolz!
Varus sah sich den Tribun an. Dieser stand in tadelloser Haltung vor ihm, wie es von einem Römer aus adeligem Hause nicht anders zu erwarten war. Nur seine Hakennase zuckte unablässig. Fast wie bei einem Kaninchen. Nur, welches Kaninchen hatte einen solchen Zinken?
Varus seufzte: „Nun, Tribun. Wie stellst du dir das weitere Vorgehen deiner Einheit vor? Durch den Ausfall der Allobroger hat deine Einheit ihre Aufklärungseinheiten und ihren Flankenschutz verloren.“
Sabinus ergriff beflissen das Wort: „Du könntest mir einige Kontingente der Belgen zuteilen. Sie sind nur angeworbene Verbündete, verstehen aber ihr Handwerk!“
„Du vergisst, dass sie bisher immer im geschlossenen Verband eingesetzt wurden. Sie sind nicht in Centurien und Manipel eingeteilt. Römische Centurionen haben sie auch nicht. Sie unterstehen dem Befehl eines Tribuns. Das macht ihren Einsatz in kleinen Verbänden ein wenig schwierig!“
Varus machte eine Pause und wandte sich an Valens: „Versuche, aus den übrig gebliebenen Allobrogern einsatzfähige Einheiten zu bilden, und finde für die zweite Centurie erst einmal eine Aufgabe, bei der kein Kampfeinsatz zu erwarten ist!“
Valens nickte, grüßte und ging. Bevor er jedoch das Zelt verließ, drehte er sich noch einmal zu Varus um und sagte: „Ich war heute Morgen bei Canidius. Keine Besserung. Der Arzt sagt, er muss etwas Falsches gegessen oder getrunken haben. Kein Grund zur Sorge.“
Nachdem sich auch Sabinus verabschiedet hatte, setzte sich Varus in seinem Stuhl zurecht. Der
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