Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
sich ab. Er bückte sich, hob das Bündel auf und legte es auf den Rücken des Maultieres. Dabei traf sein Blick den von Sergius, der mit den anderen herbeigeeilt war und die Szene verfolgt hatte. In Sergius’ Augen spiegelte sich Anerkennung.
Lucius beachtete weder das Jammern hinter sich noch die erstaunten Fragen der Männer, die auf ihn zukamen. Er ließ das Maultier in den Stall bringen und ging ins Badehaus, um ein heißes Bad zu nehmen. Niemand hinderte ihn daran.
ARAUSIO
Ein Jahr Schinderei und Plackerei lag nun hinter ihm. Er hatte das Training geschafft, er hatte erneut bei der Weinernte geholfen, und er hatte den Winter im Zelt verbracht, egal wie kalt und windig es gewesen war. Sergius hatte ihm einen Platz im Schuppen angeboten, aber er hatte abgelehnt. Er wollte nichts mehr geschenkt haben und hatte niemandem die Genugtuung geben wollen, schwach zu werden.
Jetzt lag er in seinem Bett in Arausio und lauschte im Halbschlaf dem Hämmern und Klopfen, das von außen an sein Ohr drang. In weiten Teilen von Arausio wurde nach wie vor fieberhaft gebaut. Deshalb war fast Tag und Nacht Baulärm zu hören. Er dachte an die Ereignisse auf dem Hof zurück und wie immer erfüllten sie ihn mit einer tiefen Befriedigung.
Als ein Warnruf ertönte, stoppte der Baulärm draußen abrupt, dann folgte ein Quietschen und Ächzen. Wahrscheinlich war das Baugerüst wieder einmal schlampig errichtet worden und drohte nun einzustürzen. Das passierte fast jeden Tag, da die Bauunternehmer versuchten, an allen Ecken und Enden zu sparen und deshalb die Bauvorschriften großzügig auslegten. Ein zweiter Warnruf ertönte und direkt danach das Geräusch von splitterndem Holz. Ein fürchterliches Getöse ließ ihn zusammenzucken. Laute Rufe und Schmerzensschreie waren zu hören.
Lucius war kurz aufgeschreckt, als der Lärm anschwoll, aber jetzt fuhr er hellwach im Bett hoch. Jemand hämmerte heftig gegen die Tür.
„Lucius, aufstehen! Oder willst du den ganzen Tag verschlafen?“
Lucius erkannte Stephanos’ Stimme. „Wie spät ist es?“, fragte er zurück.
„Die zweite Stunde ist fast herum“, lautete die Antwort.
Aufstöhnend ließ sich Lucius zurückfallen. Stephanos öffnete die Tür. „Die Klienten waren schon da und dein Vater ist ausgegangen!“
Also wollte Vater ihn auch weiterhin nicht sehen. „Du sollst so schnell wie möglich nach Narbo weiterreisen!“
„Mit nüchternem Magen?“, protestierte Lucius.
„Ich habe dir dein Frühstück bereitstellen lassen“, beschwichtigte ihn Stephanos. „Dein Bruder ist noch im Haus.“
Als er sein Zimmer betrat, sah er dort auf dem Tisch sein Frühstück stehen: Brot, Moretum und Oliven. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und griff nach dem Becher. Er trank einen Schluck Milch. Dann tauchte er das Brot in das Moretum und begann zu essen. Dabei sah er sich in seinem Zimmer um. Es hatte sich nichts verändert. Lucius kaute eine Olive und spuckte den Kern in seine Hand. Er überlegte einen Moment. Dann schnippte er mit einem Lächeln den Kern in eine Amphore, die neben der Tür stand.
„Du kannst es immer noch!“ Gaius nickte anerkennend. Er war unbemerkt hereingekommen „Ich wollte dich nur noch schnell begrüßen, bevor ich zum Forum gehe.“ Er musterte seinen jüngeren Bruder genau. „Du siehst ganz verändert aus. Irgendwie erwachsener.“
„Nach diesem Jahr brauchst du dich nicht zu wundern!“, sagte Lucius. „Ich fühle mich um mehr als nur ein Jahr gealtert. Mir haben Muskeln geschmerzt, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie habe. Ich habe beim Marschieren Staub geschluckt, im Dreck geschlafen, gelernt, wie man schanzt und kämpft.“ Er zeigte seine Hände. „Sieh dir die Schwielen an. Meine Füße will ich dir lieber nicht zeigen!“
„Willkommen in der Welt der Erwachsenen, Kleiner! Dachtest du, ich suche den Hof wegen der schönen Aussicht auf?“, sagte Gaius belustigt und zeigte ihm seine Handflächen. Die Schwielen und Risse von der körperlichen Arbeit, die Gaius verrichtet hatte, waren Lucius bisher nie aufgefallen.
„Früher hat mich der Ausdruck ‚Kleiner’ immer in Wut versetzt!“, erinnerte sich Lucius. „So, als ob ihr mich nicht ernst nehmt. Aber in den letzten zwei Jahren musste ich mich so abrackern und so viel über mich ergehen lassen, dass mich das nicht mehr stört!“
„Ach, und du meinst, jetzt nehmen wir dich ernst?“, zog Gaius seinen Bruder auf.
„Natürlich nicht!“ Lucius grinste jetzt auch.
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