Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
tauschten einen vielsagenden Blick aus. Bisher hatte noch jeder Rekrut irgendwann schlappgemacht. Beim Marschieren, Schanzen oder beim Waffendrill. Aber das war in der Regel kein Problem. Nach und nach wurden sie abgehärtet und wenn die Grundausbildung vorüber war, standen sie ihren Mann. Die meisten Rekruten waren die Kinder armer Leute, die von klein auf gewöhnt waren, hart zu arbeiten, zu hungern und sich durch die Widrigkeiten des Lebens zu schlagen. Doch natürlich wurden nicht alle Rekruten am Ende der Grundausbildung in den regulären Dienst übernommen.
Diese drei verweichlichten Muttersöhnchen würden eine Scheiß-Überraschung erleben!
Lugdunum thronte auf einer Anhöhe zwischen zwei Flüssen. Der Rhodanus gabelte sich vor der Stadt und umspülte eine Insel, auf der die Vorstadt lag. Östlich der Stadt floss die Arar und dort auf dem anderen Ufer erhob sich das Legionslager. Je näher er der Stadt kam und je deutlicher er das Lager erkennen konnte, desto mulmiger war Lucius zumute. Jeder Schritt vermittelte ihm das Gefühl, einen verhängnisvollen, nicht wieder gutzumachenden Fehler zu begehen. Vor der Musterung war sein ganzes Denken darauf gerichtet gewesen, die Anforderungen seines Vaters zu erfüllen. Angst hatte er nur vor dem öden Leben auf dem Hof gehabt, das ihm ein Scheitern eingebracht hätte. Aber jetzt stand er kurz davor, in ein neues Leben einzutreten. Er war ein Anwärter auf die Legion und hatte einen vorläufigen Eid abgelegt. Sein heimlicher Traum hatte sich erfüllt. Doch die Zweifel nagten an ihm. Was, wenn es ein Fehler war? Was, wenn er den Anforderungen nicht gewachsen war? Seine Ausbildung bei Pertinax mochte erstklassig gewesen sein, aber er hatte noch nie ernsthaft kämpfen müssen – fast nie: Das einzige Mal, als er ernsthaft hatte kämpfen müssen, hatte er versagt. Und das auch noch gegen ein paar kleine Jungen!
Von seinem Standpunkt aus konnte er die Brücke, die über den Rhodanus in die Vorstadt führte, sehen. Lugdunum, Stadt des Lichts, Hauptort der drei Gallien und zurzeit Wohnort des Imperator Caesar Augustus. Hier wird sich mein Schicksal erfüllen, dachte er feierlich bei sich. Vor ihm drehte sich ein Händler um, der eine Karre zog und ihn erstaunt ansah. Lucius lief rot an, als ihm bewusst wurde, dass er gerade laut gesprochen hatte. Verlegen trieb er sein Pferd an und überholte den Händler und die Reisegruppe vor ihm, die ihn ebenfalls neugierig musterte. Er ritt über die Brücke und beeilte sich, so gut es ging, die Vorstadt zu durchqueren. Aber auf der Hauptstraße war viel Verkehr und auch vor der nächsten Brücke herrschte reger Betrieb. Er entschied sich, abzusteigen. Während er sein Pferd über die Brücke führte, konnte er das erste Mal die gesamte Ausdehnung des Lagers erkennen.
Das Kastell war riesig und bot zwei bis drei Legionen Platz. Hier lebten und arbeiteten mehr Menschen als in ganz Arausio und Umgebung. Vor den Toren befand sich der unvermeidliche Vicus: Wo immer ein Legionslager errichtet wurde, siedelten sich in kürzester Zeit Händler, Schausteller und Huren an. Aus einem Vicus entstanden häufig richtige Städte oder, wie in diesem Fall, eine neue Vorstadt. Ein schmerzhafter Stoß in die Rippen machte Lucius darauf aufmerksam, dass er den Weg blockierte. Er beeilte sich, über die Brücke zu kommen, und suchte am Südtor nach einem Mietstall, wo er sein Pferd abgeben konnte. Danach warf er sich die beiden Bündel über die Schulter und ging am Ufer entlang zur nächsten Brücke, die zum Vicus hinüber führte. Der Vicus bestand aus einfachen Hütten und Häusern. Vor einem Bretterverschlag hockten einige Legionäre, schütteten Wein in sich hinein und ereiferten sich über ihr Würfelspiel. Ganz offensichtlich war dies eine Taverne, auch wenn Lucius es eher für einen Stall gehalten hätte. Ein Blick durch die offene Tür zeigte ihm, dass der Inhaber Sauberkeit für eine Taverne nicht unbedingt als Muss erachtete. Händler boten ihr Gemüse feil und ein Fleischhändler pries Zwergkaninchen in den höchsten Tönen an. Lucius musterte die gehäuteten Tiere und ihn schauderte es. Die Tiere hatten wenig Ähnlichkeit mit Kaninchen oder Hasen, sondern erinnerten eher an Ratten. Würgend eilte er weiter und stützte sich an der nächsten Hütte ab.
„Amulette, Soldat?“, wisperte eine Stimme. „Schutz vor deinen Feinden, vor den Gefahren der Reise und vor Krankheiten, bei Bona Omnia bekommst du den besten Schutz!“
Eine alte Frau
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