Cevdet und seine Soehne
standen am Fenster. Sie blickten ihren Onkel erwartungsvoll an, doch
war ihnen anzusehen, dass sie verängstigt waren und geweint hatten. In Cemils
Gesicht zuckte es auch schon wieder.
Refık dachte: »Oje, gleich
weint er los!« Er bemühte sich um ein gewinnendes Lächeln. »Geht in den Garten
hinunter und spielt ein bisschen!«
Cemil verzog erst recht das Gesicht.
Dann warf er sich auf das Bett neben Ayşe und rief weinend: »Ich will
nicht sterben, ich will nicht sterben!«
Da betrat Emine das Zimmer und
streichelte dem Jungen sogleich über den Kopf. »Jetzt wein doch nicht! Du musst
gar nicht sterben, du bist ja noch ein Kind!« Dann sagte sie zu Refık:
»Sie sollen nach unten kommen, es sind wieder Gäste da!« Als Refık
hinausging, hörte er noch, wie das Dienstmädchen zu schluchzen begann: »Ach,
was ist uns da nur zugestoßen!«
Refık stieg die Treppe
hinunter. »Ja, was ist uns da zugestoßen?« Im Salon saß Osman ein Mann
gegenüber, auf dem äußersten Rand des Sessels, die Mütze in der Hand, verschämt
zu Boden blickend. Als Refık näher trat, erkannte er ihn, es war ein
Arbeiter aus dem Depot, und er sah auch, dass etwas weiter noch einer saß und
in einer Ecke auf Stühlen noch zwei weitere. Da in den Depots auch an
Feiertagen gearbeitet wurde, hatten sie wohl von dem Tod erfahren.
Als sie Refık sahen, standen
sie alle auf. Der älteste von ihnen trat vor, umarmte Refık und brachte
mit tiefer, vibrierender Stimme etwas hervor, von dem Refık aber fast
nichts verstand. »Gerührt bin ich schon«, dachte Refık, »aber zu einer
Träne wird es nicht reichen!« Das Gesicht des zweiten Mannes sagte ihm nichts.
Er dachte an die Zigarette, die er gleich danach rauchen würde. Den dritten
erkannte er sofort, denn er leistete ihnen manchmal Botendienste; nun roch er
nach Schweiß und Tabak. Refık schämte sich, auf so ein Detail überhaupt zu
achten, und umarmte den vierten daher um so fester und sagte ein paar Worte zu
ihm. Dann setzte er sich wie die anderen auf eine Stuhlkante.
»Diese Mitarbeiter sind aus den
Depots zum Kondolieren entsandt worden«, sagte Osman. »Die anderen kommen dann
in die Moschee!«
Der älteste der Arbeiter sagte: »Ihr
Vater war ein großer Mann! Er hat uns immer in allem unterstützt. In zwanzig
Jahren habe ich nie etwas Schlechtes von ihm erlebt, nicht eine
Ungerechtigkeit!«
»Mein Vater hat auch immer sehr viel
für euch übriggehabt!« erwiderte Osman.
Sie schwiegen eine Weile, dann
fragte Osman einen der Arbeiter, ob die nach Ankara zu versendenden Kisten
schon zugenagelt seien. Der alte Mann gab verschüchtert eine Antwort. Osman
nickte, um seiner Zufriedenheit Ausdruck zu geben. Dann wieder Schweigen.
Die Arbeiter saßen noch ein wenig
da, befremdet von all den Sachen um sie herum, in ständiger Furcht, sich
ungehörig zu benehmen, dann zogen sie sich still und devot zurück, sehr bemüht,
nur ja keinen falschen Schritt zu tun und nichts zu berühren. Refık konnte
sich endlich seine Zigarette anzünden. Osman ordnete Emine an, sie solle doch
die Fenster öffnen und gründlich durchlüften.
Gegen Mittag hieß es, der
Leichenwagen sei eingetroffen. Der Sarg sollte in die Teşvikiyemoschee
verbracht werden. Als er in den Wagen gehievt wurde, waren zahlreiche Menschen
zugegen und legten mit Hand an; Freunde, Nachbarn, Gärtner, junge Leute aus dem
Viertel. Vereinzelt waren Schluchzer zu hören, und Refık wurde ein paarmal
umarmt. Da Nigân die fünfhundert Meter bis zur Moschee zu beschwerlich gewesen
wären, wurde ein Taxi gerufen. Es schien eine fröhliche Maiensonne. Wegen der
Feiertage waren die Trambahnen mit Fähnchen geschmückt. Nigân lehnte sich an
die efeubewachsene Gartenmauer und ließ sich dann von Osman führen. Sie trug
einen langen Mantel und einen Hut mit Schleier, alles in Schwarz. Bei früherer
Gelegenheit hatte sie einer diskutierfreudigen und auf die Einhaltung der
Traditionen bedachten Verwandten schon einmal selbstbewusst verkündet, bei
Beerdigungen schwarze Kleidung zu tragen sei durchaus keine speziell
christliche Sitte, sondern lediglich ein Zeichen von Achtung und Würde. Wie
Nigân nun dreinsah, konnte Refık nicht erkennen, da der Schleier ihr
Gesicht völlig verhüllte. Osman setzte eine ziemlich gleichmütige Miene auf. Er
stand mit leicht erhobenem Kopf da und sah versonnen zum Himmel hinauf, als
wollte er den Leuten, die vom gegenüberliegenden Gehsteig und aus den
geöffneten Fenstern zu ihm herübersahen, damit
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