Cevdet und seine Soehne
Gewicht
daraufgelegt, so dass Cevdet keine Luft bekam. »Ich bekomme keine Luft mehr!«
Wieder fiel ihm die Medizin ein. Draußen auf der Treppe hörte er Schritte. »Da
kommt mein Tee! Ich muss schlafen … Kein Atem! Das ist eine Herzattacke …
Wenn sie vorbei ist, werden sie mich beschimpfen … Ich muss mich hinlegen.
Muss schlafen. Schlafen …« Er stellte sich schon vor, wie er nach
überstandenem Anfall im Bett liegen würde, die ganze Familie um ihn herum
versammelt, als plötzlich der Stuhl sich zu heben schien und der Tisch auf ihn
zukam. Er merkte, wie sein Kopf gegen den Tisch schlug, ganz heftig, und wie er
keine Luft mehr bekam, als ersticke er unter der Bettdecke. Um sich nicht
wieder den Kopf anzuschlagen, streckte er den ganzen Körper, doch hatte er keinerlei
Kraft mehr, und er dachte: »Wie unter der Bettdecke! Die Frau schaut mich an,
sie schreit, das Tablett mit dem Tee fliegt … Wie unter der Bettdecke, still
und dunkel!«
18
DIE BEERDIGUNG
»So, ich glaube, jetzt ist alles organisiert für die
Beerdigung«, sagte Osman. Er lockerte seine Krawatte, die ihm den Hals
einschnürte, und wollte nur noch sitzen. »Wenigstens ein paar Minuten
ausruhen!« Er ließ sich seufzend in einen Sessel fallen. Als er den Kopf
zurücklehnte, fuhr er plötzlich wieder hoch. »Mensch, wo sitze ich denn hier!«
Ganz schuldbewusst, wie es gar nicht für ihn üblich war, sah er Refık an
und stieß dann ein dümmliches Lachen aus, das ihm sofort unschicklich erschien,
waren seit dem Tod seines Vaters doch noch keine vierundzwanzig Stunden
vergangen. Entschuldigend sagte er: »Das muss von der Erschöpfung kommen! Da
setze ich mich in Papas Sessel und merke es nicht einmal!«
»Stimmt, du machst einen sehr
erschöpften Eindruck«, erwiderte Refık, der seinem Bruder gegenübersaß.
Kurz zuvor hatten sie ihre Mutter, die die ganze Nacht geweint hatte, gemeinsam
untergefasst und sie von Cevdet weggeführt, damit der Leichnam gewaschen und in
den Sarg gelegt werden konnte.
Als Refık am Vorabend nach
Hause gekommen war, hatte er sofort gespürt, dass etwas Besonderes vorgefallen
sein musste. Aus dem Dienstmädchen war nichts herauszubringen, so dass
Refık wütend die Treppe hinaufstürmte. Aus der Bibliothek kam ihm weinend
Ayşe entgegen, und da ahnte er schon, dass mit seinem Vater etwas war, und
schließlich sah er diesen zusammengesunken auf seinem Stuhl sitzen. Als er ihn
so verkrümmt erblickte, so klein und armselig und vertrocknet, empfand er
großes Mitleid. So war sein Vater doch früher nicht gewesen; hatte der Tod ihn
innerhalb weniger Stunden so schrumpfen lassen? Dann hatte er auch schon
angefangen, an all das zu denken, was nun zu tun war.
Das hatten sie mittlerweile
erledigt. Sie hatten beschlossen, das Ende der Feiertage nicht abzuwarten,
sondern den Vater noch vorher zu beerdigen. Daraufhin hatten sie über Telefon
Todesanzeigen aufgegeben, hatten ihre Verwandten angerufen, hatten Nigân und
Ayşe zu trösten versucht, die Enkel ins
Bett geschickt und sich überhaupt bemüht, die angstvolle Atmosphäre zu
verscheuchen, die im Haus umherschlich wie eine verschreckte Katze. Zusammen
mit ihren Frauen hatten sie dann die allmählich eintreffenden Trauergäste
empfangen und waren die ganze Nacht über rauchend auf den Beinen gewesen. Nach
dieser langen, anstrengenden Nacht und dem Morgen, an dem erst recht viele
Menschen kondolieren wollten, hatte Refık zum erstenmal das Gefühl, wieder
einigermaßen zu sich zu kommen. Er zündete sich eine Zigarette an und dachte
nicht an seinen Vater, sondern an den vergangenen Tag zurück.
Auch Osman rauchte, tief in den
Sessel gelehnt. Mit einemmal hob er ruckartig den Kopf und fragte: »Du hast
doch auch Sadi angerufen, oder? Nicht dass uns seine Frau Neslihan dann böse
ist!«
»Ich habe angerufen, aber es war
keiner zu Hause.«
»Wir sollten es vielleicht noch mal
probieren«, brummte Osman. Er zog an seiner Zigarette und ließ den Kopf wieder
sinken.
Es waren lediglich Nuris Geschepper
aus der Küche und das Ticken der Wanduhr zu hören. Nigân weinte nicht mehr so
viel wie am Abend. Seit dem Besuch der am Morgen Kondolierenden war ihr
herzzerreißendes Klagen in ein immer wieder von Schweigepausen unterbrochenes
Seufzen und Schluchzen übergegangen.
Als die Glocke am Gartentor ertönte,
hob Osman den Kopf und sah durch die Gardinen zum Fenster hinaus. Refık
kam es so vor, als vollführte sein Bruder dabei die gleichen Bewegungen wie
einst der
Weitere Kostenlose Bücher