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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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Vater, doch musste er sich dann eingestehen, dass jemand, der vom
Sessel aus zum Fenster hinaussah, sich schlechterdings nicht anders verhalten
konnte.
    »Das ist Tante Mebrure«, sagte
Osman. »Sie hat einen Enkel dabei.«
    Mebrures Mann war ein halbes Jahr
zuvor einem schweren Nierenleiden erlegen. Refık dachte, die beiden Frauen
würden nun gemeinsam ihre Toten beweinen.
    »Hast du schon die Todesanzeige in
der Son Posta gesehen?« fragte Osman. »Die haben alles falsch
geschrieben, was man nur falsch schreiben kann. Wann werden die mal lernen,
richtig aufzupassen? Bei einer Todesanzeige! Unerhört!« Hastig drückte er
seine Zigarette aus und stand auf. Da läutete es an der Haustür, und Nuri eilte
aus der Küche herbei, um zu öffnen.
    Osman stand ein paar Sekunden
unentschlossen da, sah nervösen Blickes Nuri hinterher und sagte dann
plötzlich: »Ich habe den Schlüssel zu Papas Banksafe an mich genommen. Bevor
die Notare und Steuerbeamten über uns herfallen, sollten wir alles unter uns
regeln!« Sich schon zur Treppe hinwendend, fügte er noch hinzu: »Das wollte
ich dir nur gesagt haben.« Dann konnte er aber doch nicht an sich halten,
drehte sich noch einmal um und warf Refık einen vorwurfsvollen Blick zu.
    »Wie du meinst!« erwiderte
Refık und dachte sich dabei: »Ich sitze einfach hier und rauche. Er denkt,
ich sollte mich irgendwie schuldig fühlen, aber das tue ich keineswegs.«
    Von der Treppe her waren Laute zu hören,
dann ein Schluchzen und Seufzen, als sei Mebrure nur hierhergekommen, um ihre
eigene Trauer wieder aufzufrischen. Bevor sie noch den Toten oder Nigân zu
Gesicht bekam, fing sie schon am Treppenabsatz zu weinen an. Als Refık auf
sie zuging, deutete sie gerade seufzend auf irgend etwas auf oder in dem
Schrank an der Treppe, und Refık vermutete, es müsse wohl ein Gegenstand
sein, mit dem sie irgendeine Erinnerung verband, irgend etwas, das ihr nun
Kraft gab, doch um was von all den Vasen und Gläsern und verzierten Tellern es
sich dabei handelte, wusste er nicht. Gemeinsam mit seinem Bruder führte er
Mebrure die Treppe hinauf. Als sie das Zimmer betrat, in dem Nigân still vor
sich hin schluchzte, sah sie sich erst einmal wie suchend um, bis dann ein Zittern
über sie kam, als habe sich das Gesuchte gefunden, und sie mit einem Aufschrei
Nigân umarmte.
    Refık ging wieder hinaus. Vor
dem Zimmer, in dem der Leichnam seines Vaters lag, blieb er kurz stehen. Er
wusste, dass darin die zwei alten Männer tätig waren, die Osman am Morgen
aufgetrieben hatte, damit sie die nötigen Verrichtungen erledigen konnten. Was
nun aber dort drin geschah, hatte er sich noch nie richtig vorstellen wollen.
Als er unschlüssig vor der Tür stand, dachte er erstmals konkret daran: »Sie
haben meinen Vater ausgezogen und gewaschen, und jetzt wickeln sie ihn in das
Leichentuch ein!« Gleich schüttelte er diesen Gedanken wieder ab und öffnete
lieber die Tür. Er sah die zwei Männer am Bett stehen, mit flinken
Bewegungen über ein langes, weißes Etwas gebeugt. Einer der beiden drehte sich
zu ihm um. Es war ein bärtiger alter Mann mit einer Schnur in der Hand. »Schon
gut, wir sind gleich fertig!« sagte er hastig.
    Refık nickte nur und schloss
die Tür wieder. Er dachte an Perihan. Er ging in den ersten Stock hinauf in ihr
Schlafzimmer. Perihan lag auf dem Bett, daneben las Nermin Zeitung.
    Als Nermin Refık erblickte,
legte sie die Zeitung weg und deutete auf Perihan. »Besonders gut geht es ihr
nicht!«
    »Ich habe doch gar nichts! Ich habe mich
lediglich übergeben vorhin«, sagte Perihan. Da sie so ausgestreckt dalag,
wirkte ihr Bauch noch dicker als sonst.
    Refık geriet wieder in Sorge,
wie jedesmal, wenn er jene riesige Wölbung so richtig wahrnahm. Als er sah, wie
gerötet Perihans Augen waren, rief er verärgert: »Und geweint hast du auch
wieder!« Perihan gab keine Antwort. »Ich bitte dich inständig, komm wenigstens
nicht zur Beerdigung mit!« sagte Refık und sah dann, Unterstützung
heischend, Nermin an.
    »Ich sage ihr ja das gleiche«, erwiderte
diese. »Und Ayşe sollte besser auch nicht mitkommen. Der geht es nämlich
gar nicht gut. Ich habe die Kinder zu ihr hinübergeschickt, aber sie hat nur
immer geweint.«
    Refık wandte sich zur Tür und
wiederholte dabei in bestimmtem Ton: »Du kommst also nicht mit, verstanden?«
Dann ging er hinüber zu Ayşe.
    Seine Schwester lag im Bett, den
reglosen Kopf im Kissen vergraben. Sie musste weinend eingeschlafen sein. Cemil
und Lâle

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