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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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ausdrücken, dass er gerade
tiefsinnigen Gedanken über den Tod, die Ewigkeit und das Leben nachhing. Da
ertönte von der Haustür her ein tiefes Schluchzen; jeder wusste sogleich
Bescheid, doch keiner vermochte etwas auszurichten. Es war Ayşe. Sie wurde
zusammen mit den Enkelkindern von Emine zum Gartentor geführt. Endlich traf
ratternd das verspätete Taxi ein.
    Als sie an der Moschee anlangten,
fasste nicht Refık seine Mutter unter, sondern Osman. Nigân hatte bereits
den Hut abgenommen und ein Kopftuch aufgesetzt. Gemessenen Schrittes gingen sie
auf den Eingang der Moschee zu. Der Innenhof mit den blühenden Bäumen war schon
voller Menschen. Am Rand standen rauchend und zu Boden blickend Arbeiter, ganz
verlegen wegen der Untätigkeit, die sie nicht gewohnt waren. Auch die
Angestellten der Firma waren da. An einem Baum stand mit Frau und Kindern der
Buchhalter Sadık. Während Sadık Nigân die Hand küsste, musterte seine
Frau die Gattin des Chefs voller Interesse und Ehrerbietung. Refık machte
in der Menschenmenge Muhittin aus, der an die Moscheewand gelehnt die Kränze
begutachtete. Dahinter standen Cevdets Verwandte aus Haseki. Es waren ihrer
nicht viele. Eingeschüchtert warfen sie Blicke auf die Moschee, auf die Leute,
auf die modernen Apartmenthäuser ringsum. Die fähnchengeschmückten Balkons
standen voller Menschen. Die Fenster waren geöffnet und ließen die
Frühlingswärme und die Feiertagsluft hinein. Ab und an fuhr eine Trambahn
vorbei, und die Fahrgäste blickten zu der Trauergesellschaft hinüber. Direkt am
Eingang der Moschee standen die Verwandten Nigâns, allesamt dunkel und
feierlich gewandet und würdevoll blickend. Erleichtert löste sich Nigân vom Arm
ihres Sohnes und ging auf sie zu, umarmte sogleich ihre Schwester Türkân, stumm
beobachtet von den Umstehenden. Dann kam auch Sükran hinzu, Şükrü
Paşas andere Tochter. Innig umarmten sich die drei Schwestern. Auch Osman
ging zu seinen beiden Tanten. Dann traf Seyfı Paşa ein, der mit
seinem Diener schimpfte und sogleich auf Nigân zuging, die ihm spontan die Hand
küssen wollte, sich aber darauf besann, dass ihr an jenem Tag zugestanden war,
dies nicht zu tun. Als Seyfı Paşa Refık erblickte, verzog er
instinktiv das Gesicht, aber dann brachte er doch ein dem Anlass
entsprechendes, Verbundenheit ausdrückendes Lächeln zustande. Refık
beschloss, sich dem Andrang ein wenig zu entziehen. Da sah er Sait Nedim,
zusammen mit seiner Schwester Güler. Refık fragte sich, was sie wohl für
eine Frau war. Es war nun schon ziemlich heiß, eher sommerlich als
frühlingshaft. Auf den Gesichtern tauchten Schweißperlen auf, die aber geduldig
hingenommen wurden. Als Refık auf die Moscheemauer zuging, erblickte er
Fuat. Er hatte seine Frau Leyla mitgebracht, und beide wirkten sehr
mitgenommen. Refık wollte ihnen zeigen, dass er dies als Beweis dafür
nahm, wie sehr sie um seinen Vater trauerten, aber er fand nicht die Worte
dafür, das auszudrücken. So begnügte er sich
damit, ihnen aufmunternd zuzunicken, als wollte er sagen: »Schon gut, ich habe
es gesehen! Ihr habt ihn sehr gemocht! Aber jetzt reicht es wieder!« Dann sah
er einige Geschäftsfreunde seines Vaters, die mit einem bärtigen, würdevollen
Greis zusammenstanden, auch einem Paşa, wie Refık erschien, mit dem
sie irgendwie verwandt waren, aber genau wusste er es nicht mehr. Es waren auch
noch andere Geschäftsleute und Bankiers zugegen, die Refık von Sirkeci her
kannte. Sie machten einen recht missmutigen Eindruck, als bereuten sie vor
allem, an einem Feiertag die Todesanzeige überhaupt gelesen zu haben. Die Sonne
heizte den Moscheehof immer mehr auf. Hinter der Gruppe mit den Geschäftsleuten
waren die Kränze angeordnet. Refık dachte daran, dass er dort zuvor
Muhittin gesehen hatte, und las ab, von wem die Kränze stammten: »Fuat Güvenç mit Familie … İş-Bank, Filiale Sirkeci
… Bazaar de Levant … Familie Anavi«. Da trat Muhittin heran und umarmte
Refık, dem aber nicht klar wurde, wie ernst es seinem Freund mit dem
Trauern war. Dann wandten sie sich den Kränzen zu und lasen weiter die
Inschriften auf den Schleifen. Irgendwie genierten sie sich voreinander. Muhittin
schien nach etwas Bestimmtem zu suchen. Dann sagte er, das Schicken von Kränzen
habe sich in der Türkei nun auch durchgesetzt. Seinem Ton nach schien er das
weder zu begrüßen noch zu bedauern. Refık erwiderte, um jene Nachfrage zu
befriedigen, sei in Nişantaşı vor zwei Jahren ein

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