Cevdet und seine Soehne
Blumenladen
eröffnet worden. Dann horchten sie einfach nur auf die wispernde Menge, deren
Getuschel sich anhörte, als sei ein Skandal ausgebrochen oder ein Krieg, und
die doch mit ihren Blicken, ihren Gesten, ihrer Kleidung mehr ausdrückte als
mit Worten. Irgendwann erschien das Refık nicht mehr die angebrachte
Haltung zu sein, und so trennte er sich von Muhittin und ging auf das Tor der
Moschee zu. Er kam wieder an Papas und Gesandten vorbei, Verwandten
mütterlicherseits. Als er klein gewesen war, hatte seine Mutter ihn in die
Konaks dieser Leute mitgenommen, und dann hatten sie ihn gehätschelt und
liebkost, doch auf Gegenbesuch waren sie nie gekommen. Auch jetzt lächelten sie
ihn wieder liebevoll an. »Früher fanden sie mich immer so lieb«, dachte
Refık. »Was sie wohl jetzt von mir halten?« Eine Weile sah er seiner
Mutter zu, wie sie mit ihren Schwestern eingehakt dastand. Unter den Bäumen am Eingang
des Moscheehofs verharrten immer noch reglos die Arbeiter. Refık stand
jetzt direkt vor dem Tor der Moschee und sah auf dem Tympanon über den Säulen
den kunstvollen Namenszug von Sultan Abdülmecit. Es ging nun eine Bewegung
durch die Menge.
Osman kam zu seinem Bruder und
fragte: »Kommst du nicht mit zum Gebet?
»Zum Gebet?« dachte Refık. Er
nickte. Ihm fiel wieder ein, wie es ihn als Kind immer beschäftigt hatte, dass
man vor dem Betreten der Moschee die Schuhe ausziehen musste. Er ging damals
mit den Dienstboten in die Moschee und an Feiertagen mit seinem Vater. Nun zog
er die Schuhe einfach hastig aus, ohne weiter darüber nachzudenken. Drinnen war
es kühl und ziemlich dunkel, es roch nach muffigem Teppich. »Ich hätte die
rituelle Waschung vornehmen sollen!« dachte er, doch hatte Osman das wohl auch
nicht getan. Rasch füllte sich die Moschee. Alle standen mit vor dem Bauch
verschränkten Händen da. Refık sah Osman neben sich stehen, mit dem
üblichen stolzen Gesichtsausdruck. Ganz aufrecht hielt Osman den Kopf, als
blicke er nicht auf die Menschen, sondern über sie hinweg auf das Relief der
marmornen Gebetsnische, doch da er in Strümpfen dastand, wirkte der Stolz ein
wenig seltsam. Refık wandte sich zu den Gärtnern und Hausmeistern in der
hintersten Reihe um, bei denen es viel weniger unnatürlich aussah, dass sie
ihre Schuhe nicht anhatten. »Die passen eben hierher!« dachte er und versuchte
dann, seinem Vordermann alle rituellen Gesten nachzumachen. Dass er sie
überhaupt vollführte und sich also vorbeugte und wieder aufstand, ohne an das
alles zu glauben, erschien ihm eigentlich unschicklich. Er versuchte das zu
verdrängen und sagte sich nur noch: »Mein Vater ist tot!«, und mit diesem
Gedanken behalf er sich bis zum Ende der Zeremonie hindurch. Dann ging es
wieder hinaus ins Freie. Refık überließ sich der allgemeinen Bewegung hin
zum Sarg, der nun in der gleißenden Sonne stand.
19
DIE HITZE UND DAS BABY
Refık ging auf Zehenspitzen und malte
sich fröhlich aus, wie Perihan staunen würde, ihn um diese Tageszeit zu sehen. Er
war auf dem Treppenabsatz des zweiten Stockwerks angelangt und stieg nun zum
dritten Stock hinauf. Er hörte nur das Ticken der Uhr. »Mich hat noch immer
keiner bemerkt! Also könnte sich genausogut ein Einbrecher hereinschleichen!«
Oben blieb er schwitzend stehen und schob die Zimmertür einen Spaltbreit auf,
bis er Perihan sah. Sie saß neben dem Kinderbettchen und las Zeitung, schien
aber nicht recht bei der Sache zu sein. Refık fand es süß, wie sie so
dasaß. Er musste schmunzeln.
»Buh!« rief er aus und platzte ins
Zimmer. »Na, habe ich dich erschreckt?«
»Nein, hast du nicht! Aber die
Kleine weckst du uns damit auf!« Sie warf einen Blick in das Bettchen, aber das
Baby war nicht aufgewacht. »Bist du denn nicht zur Arbeit gegangen?«
»Doch, aber ich bin schon zurück!«
»Fühlst du dich nicht gut?«
»Ich fühle mich ausgezeichnet!«
Entzückt rief er: »Mensch, ich bin da! Ist das nicht eine Überraschung?«
Perihan sah ihn nur fragend an.
Er dachte: »Sie freut sich
anscheinend gar nicht. Sie ist nur verdutzt, als hätte ich sie bei etwas
ertappt. Und sie denkt nur daran, dass ich das Kind aufwecken könnte!«
»Tja, ich bin eben schnell wieder
zurück. Ich bin mit Osman ins Büro, aber es war so heiß dort, dass ich
beschlossen habe, wieder heimzufahren. Das ist doch gut so, oder?«
»Ja, das ist gut! Es ist sehr heiß,
was?«
»Und ob! Gar nicht auszuhalten. Die
Leute sind alle ganz gereizt. Auf der Heimfahrt in der
Weitere Kostenlose Bücher